22.03.2023

Am Kern vorbei

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Die BoerBurgerBeweging (BBB) hat in den Niederlanden aus dem Stand die meisten Stimmen bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten geholt. Ihren Ursprung hat die Partei in den Protesten der niederländischen Bauern. Wer sie mit der Protestbewegung gleichsetzt und sie als rechtslastig abtut, macht es sich zu einfach.

Vergangene Woche gab es einen Überraschungssieg bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten in den benachbarten Niederlanden. Bei der vorhergehenden Wahl noch nicht dabei und noch nicht einmal gegründet, schaffte es die BBB BoerBurgerBeweging in mehreren Provinzen zur stärksten politischen Kraft. Parteichefin Caroline van der Plas machte früher Öffentlichkeitsarbeit für Fachorganisationen der Landwirtschaft und war auch Chefredakteurin einer Fachzeitschrift für Schweinehaltung. 2021 holte sie für die BBB einen Sitz bei den Parlamentswahlen (Zweite Kammer). Jetzt dürfte die BBB mindestens mit 15 Sitzen in der Ersten Kammer vertreten sein, die in etwa dem Deutschen Bundesrat vergleichbar ist, aber Gesetze nur annehmen oder ablehnen und nie selbst einbringen kann. Die augenblickliche Regierungskoalition dürfte nach aktuellem Stand dagegen neun Sitze verlieren.

Die Reaktionen deutscher Medien auf diese Wahl waren unterschiedlich. Entweder das Abschneiden der BBB wurde völlig ignoriert oder die Partei wurde flugs in die rechte Ecke gestellt oder auf ihren Ursprung in den Bauernprotesten gegen die Stickstoffpolitik der Regierung seit 2019 reduziert. So blockieren sie allerdings eine ernsthafte und notwendige Ausei­­nan­dersetzung mit den tatsächlichen Gründen für den Aufstieg der BBB. Was dahintersteckt, ist schließlich beileibe kein Phänomen, das sich auf die Niederlande beschränkt.

Sicher ist die BBB keine Bastion links-progressiver Kräfte. Aber ihr Parteiprogramm ist auch nicht die Ausgeburt einer stramm rechten Gesinnung. Da finden sich konservative Inhalte und Kritik an der nationalen Asylpolitik genauso wie linke Vorstellungen für die soziale Absicherung im Land. Ihr Abschneiden kann man auch nicht als Denkzettel von rechts auslegen. Dafür gab es mit der Partei von Geert Wilders und anderen genug Auswahl an Rechtspopulisten im Nachbarland, die sich der Wahl gestellt und keinen Höhenflug erlebt haben. Als reine Bauernpartei versteht sich die BBB zudem nicht. So hat sie bei den Parlamentswahlen 2021 14 von 26 Listenplätzen mit Nichtlandwirten besetzt. Als Sammelbecken der Unzufriedenen „der da unten, die gegen die da oben sind“ hat das ZDF die BBB bezeichnet. Wertschätzend war dies sicher nicht gemeint. Im Kern zutreffend ist allerdings, dass die Wählerinnen und Wähler der BBB eines gemeinsam haben: Sie fühlen sich als Landbevölkerung abgehängt und von einer städtischen Mehrheit gegängelt – und zwar nicht nur, wenn es um die Stickstoffpolitik ihrer Regierung und die Pläne zum massiven Abbau der Tierhaltung geht. Von solchen Emotionen der Landbevölkerung gegenüber vermeintlichen städtischen Eliten hat Wahlforschern zufolge schon Donald Trump bei seiner Wahl zum US-Präsidenten profitiert.

Sind uns hierzulande solche Emotionen fremd? Ich glaube nicht! Man braucht nicht lange nach Beispielen zu suchen, wo und wie die ländlichen Regionen und mit ihnen ihre Bewohner den Ballungsräumen untergeordnet oder nicht ebenbürtig behandelt werden. Oder findet die viel beschworene Energiewende mit dem Zubau neuer Photovoltaikanlagen oder Windrädern etwa in Berlin, Düsseldorf oder Köln statt? Werden Sand und Kies für neue Wohnsiedlungen etwa unter Bonn oder Aachen geschürft (siehe S. 13)? Wie viele Gewerbeparks sind bislang auf aufgelassenen Industrieanlagen entstanden und nicht auf freiem Feld? Gleichzeitig erwartet die Freizeitgesellschaft, die Betriebsamkeit in Flur und Wald ihren Bedürfnissen unterzuordnen. Und die urbane Tierliebe erkennt zwar den Wolf, aber nicht seine Beute als schützenswert an. Sicher sind diese Beispiele überspitzt. Aber sie zeigen, wo den Menschen auf dem Land der Schuh drückt: Sie sollen Lasten tragen und fühlen sich gleichzeitig mit ihren Lasten alleingelassen; dazu gehören zum Beispiel eine unzureichende Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr, in der Digitalanbindung oder im Gesundheitswesen, aber auch die wiederkehrende Drohung, die Pendlerpauschale abzuschaffen.

Stadt und Land können nicht ohne einander. Daher dürfen die politisch Verantwortlichen aller Ebenen bei uns eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Wahlausgang in den Niederlanden nicht scheuen. Sie müssen sich damit befassen, warum Unzufriedenheiten entstehen und wie sie sich vermeiden lassen. Alles andere bereitet nur denjenigen den Weg, die alleine von einer Radikalisierung der Unzufriedenen profitieren: den Demagogen und Populisten. Medien, die wegschauen oder pauschalisieren, helfen denen dabei nur.