17.05.2023

Dauerbrenner mit einer Klammer

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Es gibt Themen, die lassen einen nicht los. Nicht weil sie so spannend sind oder immer wieder neue Aspekte zutage treten, sondern weil sich die Lage für die Betroffenen nicht verbessert und sich sogar zu verschlimmern droht. Freihandel und Wolf sind solche Dauerbrenner. Und sie haben eine gemeinsame Klammer.
Dieser Tage gab es viele Anlässe zum Gedenken. Am 8. Mai wurde zum Beispiel an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 78 Jahren gedacht. Ein bedeutendes Ereignis, ohne das auch ein weiteres Ereignis nicht denkbar gewesen wäre: der Europatag, der ebenfalls in der vergangenen Woche begangen wurde. Der erinnert an die Idee des französischen Außenministers Robert Schuman, der an diesem Tag im Jahr 1950 den Vorschlag zur sogenannten Montan-Union machte. Die wurde zwei Jahre später gegründet und sorgte für eine europäische Zusammenarbeit bei Stahl und Kohle. Der Grundstein für die Europäische Union war gelegt. Zu diesem Anlass hat Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem EU-Parlament eine Grundsatzrede gehalten. Man kann es ihm nachsehen, dass er kein Wort darüber verloren hat, dass später die Agrarpolitik und damit die Landwirtschaft die große Schnittmenge für die Staaten der Gemeinschaft war. Schließlich sollte er als Kanzler auch den Anspruch haben, nach vorne zu schauen und Perspektiven aufzuzeigen. So waren auch der Krieg gegen die Ukraine, die Rolle Europas auf der weltpolitischen Bühne und Migration seine großen Themen. Dazwischen platzierte er die Forderung, zügig neue Handelsabkommen zu schließen. Er begründete es damit, es sei wichtig, dass „Europa sich solidarisch und mit Nachdruck für Nahrungsmittelsicherheit und Armutsbekämpfung einsetzt“.
In dem Punkt, dass Europa auf der weltpolitischen Bühne eine Rolle spielen muss, ist ihm nicht zu widersprechen. Welchen Stellenwert für die angesprochene Nahrungsmittel-      sicherheit das eigene Land oder Europa hat, war aus seiner Rede nicht he­­rauszuhören. Den kann man aber aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Union im April he­­rauslesen. Dort heißt es wörtlich: „Die Gewährleistung der Ernährung der deutschen Bevölkerung vollständig aus eigener Erzeugung ist daher kein erklärtes Ziel der Bundesregierung.“ Klar, bei Südfrüchten wird die vollständige Versorgung aus eigener Produktion schwierig. Aber zunehmend bekommt man das Gefühl, dass dies auch für andere Agrarprodukte gilt, die leicht im eigenen Land und vor allem unter kontrollierten Bedingungen erzeugt werden könnten. Die Zweifel, die Landwirtinnen und Landwirte im Zusammenhang mit dem geplanten Mercosur-Abkommen zu Recht hegen, hat Scholz vor dem EU-Parlament nicht ausgeräumt, sondern mit seinem Plädoyer für Freihandel eher bestärkt.
Vor gefährlichen Abhängigkeiten, wie sie im Schlepptau von Corona bei Produkten des täglichen Lebens oder des Kriegs gegen die Ukraine bei der Energieversorgung offenbar wurden oder aktuell bei Arzneimitteln spürbar sind, warnten tags da­­rauf wenigstens einige Abgeordnete des EU-Parlaments bei einer Generaldebatte zur Agrarpolitik. Der für das Thema zuständige Agrarkommissar Janusz Wojciechowski schwänzte die Debatte allerdings. Vielleicht auch deshalb, weil er zu dem Thema am wenigsten beitragen kann, bei dem die meisten Bäuerinnen und Bauern in Europa die größten Befürchtungen haben. Denn die Zuständigkeit für die geplante Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) und das Gesetz zur Wiederherstellung von Naturräumen (NRL) liegt nicht bei ihm. Dabei stellt die EU-Kommission mit diesen Vorhaben die Grundsatzfrage schlechthin: Nahrung oder Natur?
Um die geht es auch im Umgang mit dem Wolf. Das hat in der vergangenen Woche die Konferenz der Umweltminister wieder gezeigt. Statt auf einen klaren Beschluss einigten sich die Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern wieder einmal darauf, dass sie sich nicht einigen können. Lieber fordern sie wieder und wieder neue Studien zu denselben Fragen. Hat die Population den schützenswerten Erhaltungszustand erreicht? Verhindern Weidezäune und andere Herdenschutzmaßnahmen verlässlich Übergriffe? Die Antworten dürften den Teilnehmern der Konferenz bekannt sein. Nur scheinen sie sich vor den logischen Schlüssen zu scheuen. Wie auch bei den anderen angesprochenen Themen kann es nämlich nicht um Nahrung oder Natur gehen, sondern es muss um Nahrung und Natur gehen. Das würde den Verantwortlichen aber abverlangen, auf die Landwirtinnen und Landwirte zuzugehen und ihre berechtigten Interessen ernst zu nehmen. Denn Nahrung und Natur lassen sich nur mit ihnen auf einen Nenner bringen, nicht gegen sie. Dessen sollte jeder nicht nur in diesen Tagen gedenken.