28.09.2022

Gender Gap bei Betriebsleitung und Hofnachfolge

Foto: BMEL/Photothek

Wie leben und arbeiten Frauen in der Landwirtschaft wirklich? Diese und andere Fragen beantwortet eine große, deutschlandweite Studie. Sie gibt einen Einblick in die tatsächliche Arbeits- und Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben.

Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte deutschlandweite Studie „Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands – eine sozioökonomische Analyse“ untersuchte die vielfältige Lebenswirklichkeit von Frauen in der Landwirtschaft. Regionale Unterschiede wurden hier ebenso berücksichtigt wie unterschiedliche Betriebsformen und Lebensentwürfe. Betriebsleiterinnen und Geschäftsführerinnen stehen hier gleichermaßen im Fokus wie mitarbeitende Familienangehörige und Angestellte sowie Altenteilerinnen und ehemals angestellte Frauen. Es geht um die Arbeit auf dem Betrieb, aber auch um Arbeitsbelastung, Ehrenamt und Familie. Was macht Freude? Was Sorgen?

dlv aktiv beteiligt

Im Zentrum der Studie, die vom Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume der Universität Göttingen und dem Thünen-Institut für Betriebswirtschaftslehre in Braunschweig durchgeführt wurde, stehen die Einschätzung und Bewertung der derzeitigen Lebensverhältnisse der Frauen in der Landwirtschaft. Wie beurteilen die befragten Frauen ihre Zukunft, welche Bedeutung haben sie für den sozialen Zusammenhalt in ländlichen Regionen? Der Deutsche LandFrauenverband (dlv) war Kooperationspartner des Projekts und unterstützte das Vorhaben vor allem durch die Vor-Ort-Organisation der Workshops, die Gewinnung von Interviewpartnerinnen und die gemeinsame Reflexion der Ergebnisse.

Im Rahmen der Studie hat – neben Interviews und Workshops – eine bundesweite Online-Umfrage stattgefunden, an der mehr als 7 000 Frauen teilgenommen haben. Die Forscherinnen und Forscher haben die wichtigsten Erkenntnisse der Studie wie folgt zusammengefasst: Frauen leben Landwirtschaft! Das tun sie auf vielfältigste Weise. Die erste gesamtdeutsche Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft seit der Wiedervereinigung macht die unterschiedlichen Rollen und bedeutenden Leistungen von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben und für die ländlichen Räume sichtbarer. Die Studie verdeutlicht aber auch, dass Gleichstellung aller Geschlechter auf den landwirtschaftlichen Betrieben noch nicht erreicht ist. Eine leichte Tendenz zu mehr weiblicher Hofnachfolge und Frauen, die eigenständig landwirtschaftliche Betriebe gründen, gibt allerdings Anlass zu vorsichtiger Hoffnung.

Es gibt viel zu tun

Die Forscherinnen und Forscher haben folgende Handlungsempfehlungen formuliert:

Um den Gender Gap bei den Betriebsleitungen und Hofnachfolgen zu schließen, braucht es Empowerment von Hofnachfolgerinnen und potenziellen leitenden Angestellten in Form von speziellen Lehrgängen und Netzwerkangeboten der Bildungs- und Beratungsträger sowie Mentoring-Programmen (Betriebsleiterin und (potenzielle) Hofnachfolgerin/leitende Angestellte).

Ohne einen Hof zu erben ist Existenzgründung in der Landwirtschaft nur schwer umsetzbar. Daher werden niedrigschwellige Förderprogramme und Beratungsangebote für landwirtschaftliche Existenzgründerinnen benötigt, zum Beispiel in Form von Gründerinnen-Netzwerken, Mentoring-Programmen, und die Unterstützung von Flächen- beziehungsweise Hofvermittlungsbörsen.

Die Arbeitssituation der Frauen kann durch erhöhte Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Rollenmuster von allen Beteiligten verbessert werden. Dies gilt für die Frauen und für ihre Partner, für die Interessenvertretungen, aber auch für andere Organisationen in der Landwirtschaft.

Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben sollten sich gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin frühzeitig um ihre soziale Absicherung fürs Alter oder im Falle von Scheidung, Trennung oder Tod der Betriebsleitung kümmern. Dazu gibt es vielfältige Beratungsangebote von diversen Trägern in ganz Deutschland. Die Versicherungsträger sollten das Risiko möglicher Versorgungslücken für Frauen mit unterschiedlichen Erwerbsbiografien prüfen und auf Möglichkeiten der Schließung aktiv aufmerksam machen.

Für alle landwirtschaftlichen Arbeitgeber ist eine umfassende Aufklärung über die Risiken für Frauen am Arbeitsplatz Landwirtschaft und zu Regelungen zu Mutterschutz, Elternzeit und Kinderkrankentage unumgänglich. Ein umfassendes Angebot von Bildungs- und Beratungsträgern, auch für Angestellte, Selbstständige und Familienarbeitskräfte kann dazu beitragen, Unsicherheiten und Vorbehalte abzubauen.

Um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie, Pflege und Ehrenamt für Frauen in der Landwirtschaft zu erreichen, kann neben gut erreichbaren Angeboten der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum auch eine andere Verteilung der Aufgaben im Haushalt durch alle Beteiligten einen Beitrag leisten.

Damit insbesondere junge Frauen das Arbeiten in der Landwirtschaft und das Leben im ländlichen Räum weiterhin attraktiv finden, braucht es eine gute öffentliche Infrastruktur (Gesundheit, Bildung, Digitalisierung, Verwaltung) und für alle Frauen, die außerbetrieblich arbeiten wollen, ein gutes Angebot an qualifizierten Arbeitsplätzen.

Für die Geschlechtergerechtigkeit ist es von großer Bedeutung, auch die vielfältigen bezahlten und unbezahlten Aufgaben von Frauen in der Landwirtschaft durch regelmäßige Erhebungen (zum Beispiel im Rahmen der Agrarstatistik) sichtbar zu machen. So können Indikatoren der Gleichstellung, wie der Gender Pay Gap und der Gender Care Gap, auch für die Landwirtschaft berechnet und Maßnahmen zur Verbesserung geplant werden.

Den Policy-Brief und die Fotobroschüre zur Studie finden Sie ­online unter www.studie-frauen-landwirtschaft.de/.

Lesen Sie hier den Kommentar zur Studie