Hinfahren lohnt sich immer
Zwei wichtige Termine stehen für das zweite Novemberwochenende an. Am Samstag beginnt im Rheinland der Karneval, am Sonntag öffnet in Hannover die Agritechnica. Beide Ereignisse waren in den vergangenen Jahren stark von Corona betroffen. Zwar ist die Agritechnica nur einmal ausgefallen, trotzdem wird das Comeback der Messe von Ausstellern, Besuchern und dem Veranstalter mit Spannung erwartet.
Erstmals seit vier Jahren kommen wieder Landmaschinenhersteller aus aller Welt nach Hannover, um ihre Produkte zu präsentieren. Die Voraussetzungen sind gut. Trotz eines leichten Rückgangs bei der Zahl der Aussteller ist die Ausstellungsfläche ausverkauft und die Hallen sind voll. Die DLG als Veranstalter erwartet 400 000 Besucher, 50 000 mehr als vor vier Jahren. Einiges spricht dafür, dass die auch tatsächlich kommen. Wer jetzt noch ein Zimmer in Messenähe sucht, findet Angebote für zwei Nächte im Einzelzimmer zwischen 400 und 2 000 €. Die Agritechnica ist seit dem Beginn 1985 in Frankfurt ein Erfolgsmodell und hat sich an allen Wettbewerbern vorbei zum größten Treffpunkt der Branche weltweit entwickelt. Aber das ist nicht in Stein gemeißelt, nichts hält ewig, heißt es im Rheinland. Zur Eröffnung der Computermesse CeBIT kam früher der Bundeskanzler nach Hannover, geblieben ist davon nichts.
Die Landmaschinenbranche hat trotz des kriegsbedingten Wegfalls großer Märkte in Osteuropa in den vergangenen Jahren ohne Agritechnica Rekordergebnisse erzielt. Im laufenden Jahr rechnen die deutschen Hersteller mit einer Umsatzsteigerung im zweistelligen Bereich. Neu- und Weiterentwicklungen sind auch ohne Messe erfolgreich auf den Markt gekommen. Viele Hersteller haben das Geld, das sie beim ausgefallenen Messetermin gespart haben, in aufwendige virtuelle Events und Präsentationen gesteckt. Dabei hat sich aber gezeigt, dass die auch dann, wenn sie gut gemacht sind, kein Ersatz sind für Landtechnik zum Anfassen und Gespräche mit Kunden an der Maschine auf dem Stand. Die digitale Agritechnica im Frühjahr 2022 war ein Flop. Unterm Strich sind die Zukunftsaussichten für die Agritechnica also sehr gut, auch wenn das Wachstum nicht im bisherigen Tempo weitergehen kann.
Die Zahl der Neuheiten hält sich diesmal auf den ersten Blick in Grenzen. Warum die Neuheitenkommission sich nur zu einer Goldmedaille durchringen konnte, bleibt trotzdem rätselhaft. Unter den angemeldeten Neuheiten war durchaus einiges, was mehr Beachtung verdient gehabt hätte. Sensationelle Neuheiten, wie der erste sechsreihige Rübenroder, der erste Melkroboter und der Traktor, der ohne Fahrer im Freigelände seine Runden drehte, sind schon lange selten geworden. Und nicht alles, was neu war, hat sich am Markt durchgesetzt. Die Landtechnik hat ein sehr hohes Niveau erreicht. Bei den vergangenen Messeterminen waren vor allem Digitalisierung, autonomes Fahren und elektrische Antriebe große Themen. Den elektrisch angetriebenen Traktor mit 240 PS, der mit einer Akkuladung einen Tag lang pflügen kann, gibt es aber bisher ebenso wenig wie den praxisreifen Feldroboter, der ganz alleine das Unkraut sucht und vernichtet.
Auch diesmal gibt es aber zahlreiche Neuheiten, die ganz überwiegend Verbesserungen im Detail bringen. Ein großes Thema ist, wie schon 2019, die mechanische Unkrautbekämpfung in Kombination mit Kameras, die das Unkraut zuverlässig erkennen. So feiert die Reihenhacke, eine der ältesten Landmaschinen überhaupt, ein Comeback und hat mittlerweile mit neuer Technik Einzug in die Praxis gefunden. Die sparsame und effektive Ausbringung von Dünger und Pflanzenschutz wird immer weiter optimiert. Exakte Dosierung auch bei Kurvenfahrten und per Sensoren an den Bestand angepasste Dosierung auch in Teilbreiten beim Gülleausbringen sind heute möglich. Mähdrescher scannen den Getreide-
bestand vor dem Schneidwerk und optimieren die Einstellung selbstständig für das, was kommt, statt erst dann zu reagieren, wenn die Verluste hinter der Maschine zunehmen. Das autonome Fahren von Traktoren und Landmaschinen ist in Westeuropa nicht zuletzt aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen noch Zukunftsmusik. Immerhin gibt es in Hannover diesmal einen Schlepper, der seinen Herren wie früher das Pferd erkennt, ihm folgt und auf Handzeichen reagiert. Auch wenn das im Moment eher unterhaltsam scheint, könnte das eine Neuheit sein, die Zukunft hat.
Was Sie sonst noch in Hannover sehen, lesen Sie im Agritechnica-Schwerpunkt ab Seite 18. Eine gute Vorbereitung des Messebesuchs ist sinnvoll, denn auch an zwei Tagen kann man lange nicht alles sehen. Egal, ob man Investitionen plant oder nicht, hinfahren lohnt sich immer, der Spaß ist garantiert.