05.07.2023

Leitwort ohne Lücke

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Auf einem Verbandstag ist für die Grundsatzreden üblicherweise der Präsident des Ausrichters zuständig. Joachim Rukwied vom Deutschen Bauernverband hat den Bauerntag in Münster dafür genutzt. Aber auch Hendrik Wüst wusste zu punkten und empfahl sich der Landwirtschaft für eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Unter seinem Radar blieb allerdings ein brennendes Thema: Die neue Leitentscheidung zur Rekultivierung von Tagebauflächen.

Sicher war sich der Ministerpräsident unseres Bundeslandes bewusst, an was für einem Tag er sich an hunderte Bäuerinnen und Bauern wendet. Als sich Hendrik Wüst am Donnerstag vergangener Woche ans Rednerpult beim Deutschen Bauerntag in Münster stellte, war die schwarz-grüne Landesregierung von NRW genau ein Jahr und einen Tag im Amt. Wüst war sich auch bewusst, welche Töne er anschlagen muss, um die Anwesenden auf seine Seite zu holen. Seine Worte waren so gewählt, dass sie den Eindruck hinterlassen haben, er könnte einmal nach dem Amt von Bundeskanzler Olaf Scholz greifen. Der hatte zuvor per Video eine Grußbotschaft an die Bäuerinnen und Bauern aus ganz Deutschland gerichtet. Auch wenn für Grundsatzreden auf einem Bauerntag der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), also Joachim Rukwied, zuständig ist, nutzte Wüst seinen Aufritt, um seine Haltung zur Landwirtschaft und damit auch die der NRW-Landesregierung grundsätzlich darzulegen. Mit Wertschätzung sprach er über die Leistungen der Landwirtschaft für Umweltschutz und Ernährungssicherheit, ihre Bedeutung für das ländliche Gemeinwesen und ihre Bereitschaft, sich fortlaufend zu verändern. Da präsentierte sich ein Mensch mit Werten und dem Bewusstsein, woher er (persönlich) kommt und wo er (als Politiker) hin will. Gleich zu Anfang stellte Wüst klar, dass NRW das drittgrößte Agrarland in der Bundesrepublik ist, um sofort nachzuschieben: „Ich will auch, dass das so bleibt!“ Er präsentierte sich auch als Politiker, der für Offenheit steht und dafür, Probleme gemeinsam zu lösen. Es dürfe nicht immer gleich mit einer vorgefertigten Lösung losmarschiert werden. Was die Zuhörerschaft aus NRW mit Wohlwollen aufgenommen hat, hat sich aber wohl noch nicht bei allen rumgesprochen, die in Düsseldorf auf der Regierungsbank sitzen.

Jedenfalls nicht bei allen Themen. Wüst sparte das Thema Fläche nicht aus, beschränkte sich hier aber auf das Beispiel Photovoltaik. Unter dem Radar blieb daher die Frage, welches Gewicht die Landwirtschaft bei der Rekultivierung der rheinischen Braunkohletagebaue hat. Denn im Kabinett für die Landesplanung zuständig ist Mona Neubaur vom Koalitionspartner. An ihr Haus richtet daher die rheinische Landwirtschaft ihre Anregungen zu dem Thema. Aber auch ihre Bedenken. Und die sind nicht gering, zumal nur ein Bruchteil der früher landwirtschaftlich genutzten Fläche wieder einer solchen Nutzung zugeführt wird. Vorbehalte gibt es außerdem dagegen, im Zuge der Rekultivierung Landschaften zu schaffen, wie sie dort vormals nicht typisch waren. Die Vorstellungen, die das zuständige Ministerium, aber auch Naturschutzverbände in die Überlegungen einbringen, betreffen dabei nicht nur die Kernflächen in den Abbaugebieten; sie würden auf das gesamte Rheinland ausstrahlen – weil schon allein nach Tagebau und Rekultivierung ein Nettoverlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche von mehreren Tausend ha zu Buche steht, Rückgabeverpflichtungen gegenüber den Eigentümern bestehen und weil Ausgleichsmaßnahmen und ein revierweiter Biotopverbund einen weiteren Entzug nach sich ziehen.

Wer will, dass Landwirtschaft in NRW stark bleibt, muss hier genauer hinschauen! Auch die LZ Rheinland wollte genauer hinschauen und hatte deswegen mehrere konkrete Fragen an das Wirtschaftsministerium gerichtet. Statt diese zu beantworten, haben wir nur ein allgemeines Statement erhalten (siehe S. 18). Das ist enttäuschend. Denn viele unserer Leserinnen und Leser werden die Folgen zu spüren bekommen, wenn ihre Interessen bei dem jetzt laufenden Prozess nicht genügend berücksichtigt werden. Um gemeinsam Kompromisse zu finden, wofür Hen­drik Wüst auf dem Bauerntag eindringlich appellierte, braucht es die Kenntnis darüber, wo entscheidende Stellen wie eben das Wirtschaftsministerium unter Mona Neubaur bei dem Thema stehen. Wenn dessen Position im Unklaren bleibt, stellt sich der bittere Geschmack mangelnder Transparenz ein. Hendrik Wüst hat in Münster unmissverständlich die Leitplanke beschrieben: Landwirtschaftliche Fläche ist endlich, „deswegen müssen wir sparsam sein“. Dieser Anspruch darf nicht beliebig gelten. Er muss ein Grundsatz ohne jede Lücke und unverrückbar für jedes Ressort im Kabinett sein – für die der Union genauso wie die des Koalitionspartners Bündnis 90/Die Grünen.