09.11.2022

Noch ne Runde ...

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Praktiker einzuspannen, damit die Politik besser darüber Bescheid weiß, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen in der Realität haben, ist an sich eine prima Idee. Zweifel sind aber angebracht, wenn nicht so recht klar ist, wie die Auswahl erfolgte und wie Einschätzungen solcher Runden zustande kommen. Wem dienen dann solche Formate wie das gerade ins Leben gerufene „Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft“?

„Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeitskreis“ – so spotten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen gerne, wenn ihre Geschäftsleitungen wieder einmal neue Runden einberufen, um endlich Lösungen für altbekannte Probleme zu finden. Auch Politiker bedienen sich solcher Instrumente gerne. Die öffentlich bekundete Absicht dahinter ist meist, dass man die Betroffenen einbindet, damit frühzeitig klar wird, welche Konsequenzen ihre Entscheidungen für diese haben könnten. An sich eine prima Idee, die man nur begrüßen kann. Denn sicher hat jeder Beispiele vor Augen, bei denen es offensichtlich völlig am praktischen Sachverstand gefehlt hat. Selbst solche Poliker, die als Ministerinnen oder Minister auf einen ganzen Stab an Expertinnen und Experten zugreifen können, sind nicht davor gefeit, Fehlentscheidungen zu treffen. Da können solche Runden durchaus helfen, Schlimmeres zu vermeiden.

Soweit zu der positivsten aller möglichen Sichtweisen. Genauso kann es aber auch in eine andere Richtung gehen. Nämlich in die, solche Runden als Legitimierung eigener Vorhaben oder Sichtweisen zu nutzen. Dieser Verdacht beschleicht mich jedenfalls, seit Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in der vergangenen Woche verkündet haben, dass das „Dialognetzwerk zukunftsfähige Landwirtschaft“ an den Start gehen könne, da nun die Beteiligten feststünden. Doch schon die Art und Weise der Ankündigung nährt bei mir Zweifel, was die Absicht dahinter ist. Schließlich erfährt man zwar von der Gründung, aber nichts darüber, wer die Beteiligten dieser Gesprächsrunden eigentlich sind, obwohl genau das – dass diese nun feststehen – der Anlass für beide Ministerien war, mit einer Pressemeldung an die Öffentlichkeit zu gehen. Den Zweifel schürt auch, dass laut Özdemirs Ministerium die Sitzungen des Dialognetzwerkes nicht öffentlich sind und Beteiligte nicht namentlich zitiert werden. Schließlich will das Bundeslandwirtschaftsministerium die Ergebnisse der Gesprächsrunden selbst zusammenfassen und bei Bedarf darüber informieren. Das ist schon ziemlich viel Geheimniskrämerei und hat mehr als nur ein Geschmäckle. Eher scheint es so, dass unter dem Deckmantel von Bürger- beziehungsweise Betroffenenbeteiligung die eigene politische Agenda untermauert werden soll.

In dieses Bild passt auch ziemlich gut, dass zwei andere Arbeitskreise beziehungsweise Gesprächsrunden, welche noch die Vorgängerregierung ins Leben gerufen hatte, und ihre Erkenntnisse scheibchenweise in die Bedeutungslosigkeit verbannt werden. Das eine sind die Ergebnisse des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung unter der Leitung des früheren Landwirtschaftsministers Jochen Borchert. Das andere sind die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und ihr umfangreicher Abschlußbericht. Zwar wird Agrarminister Cem Özdemir nicht müde, immer mal wieder die Arbeit dieser beiden Runden zu loben. Engagement und Energie verwendet er allerdings kaum da­­rauf, um den breiten gesellschaftlichen Konsens, den es für die Arbeit beider Gremien gibt, aufzugreifen, und in die Tat umzusetzen, was Vertreterinnen und Vertreter aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam ausgearbeitet haben. Menschen übrigens, von denen bekannt ist, wer sie sind, wofür sie stehen und wessen Interessen sie in die Runden eingebracht haben. Welchen gesellschaftlichen Mehrnutzen neue Geheimrunden stiften können, dafür fehlt mir jedenfalls die Vorstellungskraft. Vorstellen kann ich mir aber nur zu gut, welchen Nutzen das für die politische Agenda von Cem Özdemir und seiner Parteifreundin Steffi Lemke hat.