13.04.2023

Sturmreif schießen

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Das Ringen um den Pflanzenschutz hält an. Die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln war bisher ein Argument gegen eine weitgehende Reduzierung von Mitteln und Wirkstoffen. Sarah Wiener und die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides drehen jetzt den Spieß um. Synthetische Pflanzenschutzmittel könnten womöglich sogar die Versorgungssicherheit bedrohen. Währenddessen schießen sich foodwatch und DUH auf die Zulassungspraxis ein.

Vergangene Woche sind die beiden Nichtregierungsorganisationen foodwatch und Deutsche Umwelthilfe (DUH) an die Öffentlichkeit gegangen und haben verkündet, dass sie nun gemeinsam rechtliche Schritte gegen die Zulassung von fünf Pflanzenschutzmitteln einleiten wollen (die LZ Rheinland berichtete). Dabei wollen sie sich – angefangen von Widersprüchen gegen die Zulassung beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bis hin zu Eilverfahren wegen Gefahr in Verzug – eines breiten Waffenarsenals bedienen. Bei der Vorstellung des Vorhabens gab sich die zuständige Kampagnenmanagerin von foodwatch zudem zuversichtlich, dass es leicht möglich wäre, bei Mais und Getreide auf die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu verzichten und so in kurzer Zeit „eine Riesenfläche frei von Pestiziden“ zu bekommen.

Wie es aber meist bei solchen Organisationen ist: Sie können leicht Forderungen an andere richten, selbst erfüllen müssen sie die schließlich nicht. So halten auch deren Vorstellungen, wie es anders gehen soll, nicht der Nagelprobe stand, wie sich auf Nachfrage der LZ Rheinland herausgestellt hat. Dabei wollten wir zum Beispiel wissen, wie der Verzicht auf Herbizide konkret in Getreide und Mais umgesetzt werden soll und wie mit dem zu erwartenden Pilzdruck infolge der feuchten Witterung in den vorangegangenen Wochen umzugehen sei. foodwatch hat darauf zwar geantwortet –die Ausführungen erschöpfen sich jedoch weitgehend in bekannten Allgemeinplätzen und Ratschlägen, die jede Landwirtin und jeder Landwirt schon in der Ausbildung mit auf den Weg bekommen hat: keine engen Fruchtfolgen mit hohem Anteil an Mais und Getreide, Bekämpfung von Beikräutern nach Schadschwellen, Untersaaten etc. pp.

Etwas mehr geben bei solchen Rückfragen die Beispiele her, die als Bestätigung dafür angeführt werden, dass auch in der Praxis funktioniert, was man sich so vorstellt. In dem konkreten Fall haben uns foodwatch und Experten, die für die Organisation tätig sind, auf die IP Suisse hingewiesen. Die Vereinigung schweizerischer Produzenten schreibt sich auf die Fahnen, umweltschonende und tiergerechte Landwirtschaft zu fördern. Im Grunde setzen die angeschlossenen Betriebe die Prinzipien des integrierten Pflanzenschutzes um und erlauben in dem Rahmen durchaus den Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel – außer in den beiden Labelprogrammen „Weizen ohne Pestizide“ beziehungsweise „Getreide ohne Herbizide“. Dort sind solche Mittel aber nur im Zeitraum zwischen Ernte der Vorfrucht und Ernte der Hauptfrucht verboten. Man kann also erahnen, dass es Hintertürchen gibt, über die ungerne spricht, wer solche Initiativen als leuchtende Vorbilder anführt. Die Schattenseiten zeigen sich erst, wenn man genauer hinschaut. So fehlten der Organisa­tion im verregneten Sommer 2021 wegen Mindererträgen und Qualitätsmängeln infolge von Mykotoxinbelastungen 50 000 t Getreide, um ihre Kunden zu beliefern. Die Lücke konnte sie nur schließen, weil sie aus dem Vorjahr noch eine entsprechende Menge eingelagert hatte.

Welche Rolle chemischer Pflanzenschutz dabei spielt, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, ist daher bei der IP Suisse gerade genauso ein zentraler Diskussionspunkt wie in der EU. Im Streit über den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) der EU-Kommission stellt sich die Frage, die nicht nur der Agrarrat mit einer vor dem Hintergrund des Kriegs gegen die Ukraine aktualisierten Folgenabschätzung beantwortet haben will. Waren es bisher allerdings die Gegner ­einer generellen Reduktion, die Zweifel an der Versorgungssicherheit ins Feld führten, kehren gerade die Befürworter den Spieß um. Sarah Wiener, die als Berichterstatterin des Umweltausschusses im EU-Parlament eine wichtige Rolle spielt, als auch Umweltkommissarin Stella Kyriakides, aus deren Haus der Vorschlag zur SUR stammt, äußerten jüngst gar die Befürchtung, dass chemische Pflanzenschutzmittel die Versorgungssicherheit bedrohen könnten. Unabhängig davon, wie glaubwürdig oder belastbar sie sind, der Nachschub an Argumenten gegen den chemischen Pflanzenschutz versiegt also nicht; das Waffenarsenal (siehe das Vorgehen von foodwatch und DUH) wird sogar breiter, genauso wie die Allianzen. Somit dürfte weiter kräftig gefeuert werden. Fragt sich, bis wann der chemische Pflanzenschutz sturmreif geschossen ist und ob dann ausreichend wirksame und wirtschaftliche Alternativen verfügbar sind.