19.04.2023

Unheilvoller Vorstoß

Dr. Elisabeth Legge

Für die Sonderkulturbetriebe ist und bleibt es ein Dauerthema und ein unschönes obendrein – der Mindestlohn. Besonders ärgerlich ist, wenn sich bei der Diskussion um die Mindestlohnerhöhung die Politik einmischt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil jedenfalls hat jetzt einen Vorstoß gemacht.

Einen unglücklicheren Zeitpunkt hätte sich Minister Heil kaum aussuchen können. Pünktlich zum Start der Spargelsaison wartete er mit einer unheilvollen Ankündigung auf. Er rechnet mit einer deutlichen Steigerung des Mindestlohns zum 1. Januar 2024 – auf bis zu 14 €. Für die Spargelanbauer und alle anderen Sonderkulturbetriebe ist das harter Tobak. Die Betriebe sind verunsichert und geschockt. Sie wissen, dass sie im kommenden Jahr wieder mit einer Mindestlohnerhöhung rechnen müssen, aber muss es in diesem Ausmaß sein? Das macht ihnen Angst. Erst zum 1. Oktober vergangenen Jahres wurde der Mindestlohn von 10,45 auf 12 € angehoben. Das war der größte Sprung beim Mindestlohn bisher und Deutschland rangiert damit nach Luxemburg auf Platz zwei im Mindestlohn-Ranking der EU. Der Berufsstand hatte sich zwar für eine zeitliche Verschiebung und stufenweise Erhöhung des Mindestlohns eingesetzt, aber vergeblich, denn von oben – von der Politik – wurde die Erhöhung bestimmt. Eine unschöne Sache! Dabei hat im vergangenen Jahr die SPD den Mindestlohn zum Wahlkampfthema gemacht und letztlich auch damit die Wahl gewonnen.

Und jetzt gibt es wieder einen Vorstoß in Sachen Mindestlohn vonseiten der Politik, und zwar von dem SPD-Politiker Heil. Ein unheilvoller Vorstoß, der nicht nur beim Gesamtverband der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) sauer aufgestoßen ist (siehe S. 12), sondern auch in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Mindestlohnerhöhung trifft schließlich nicht nur die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, sondern auch viele andere Branchen.

Minister Heil muss sich fragen lassen, ob es legitim ist, öffentlich über die Entwicklung des Mindestlohns zu spekulieren und dadurch Einfluss nehmen zu wollen. Die Festsetzung des Mindestlohns ist schließlich nicht Aufgabe der Politik. Sie ist allein eine Angelegenheit der unabhängigen Mindestlohnkommission. Bis zum 30. Juni soll die Kommission einen Vorschlag zur Anpassung des Mindestlohns machen und ist damit schwer gefordert. Denn sie muss nach den Vorgaben des Mindestlohngesetzes auch funktionierende Wettbewerbsbedingungen und die Beschäftigungssicherheit berücksichtigen. Infolge einer weiteren Anhebung des Mindestlohns müssen schließlich auch die Löhne von qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angepasst werden, um einen angemessenen Lohnabstand zu gewährleisten. Die Tarifpartner untereinander sollten das Lohngefüge neu ordnen. Dabei müssen sie natürlich ganz klar im Blick haben, dass jeder Cent mehr an Lohnkosten am Ende auch am Markt verdient werden muss.

Keine einfache Aufgabe, denn die Situation in den Sonderkulturbetrieben ist derzeit schon alles andere als leicht. Die Betriebe haben zum Teil schwer zu kämpfen, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Dabei macht ihnen nicht nur der Mindestlohn zu schaffen, sondern – wie bei vielen anderen Betrieben auch – höhere Kosten für Energie, Strom und Mineralölprodukte. Dazu kommen natürlich noch die verschärften Einschränkungen bei der Düngung und dem Pflanzenschutz und schließlich auch das Thema Kaufzurückhaltung. Dies gilt vor allem für ein so hochpreisiges Produkt wie die Königin der Gemüse – den Spargel. Ob sich die Verbraucher in diesem Jahr wieder vermehrt die weißen Stangen gönnen werden, wäre den Spargelanbauern zu wünschen, bleibt aber abzuwarten. Im vergangenen Jahr jedenfalls ist für die rheinischen Betriebe die Spargelsaison relativ bescheiden verlaufen. Eine Reihe Betriebe hat sogar ältere Anlagen gerodet und nicht wieder ersetzt.

Und das hat natürlich viel mit dem Mindestlohn zu tun. Ein weiterer kurzfristiger, deutlicher Anstieg würde das Ende für viele Obst und Gemüse anbauende Betriebe bedeuten. Dann sind sie schlichtweg nicht mehr konkurrenzfähig. Im Rheinland ist die Produktion von Einlegegurken jetzt schon fast tot und auch die Produktion von Beeren, deren Ernte viel Handarbeit erfordert, wird wohl zurückgehen. Die Gefahr, dass die Produktion von Obst und Gemüse ins Ausland abwandert, ist zum Greifen nahe. Aber will man das? Will man nicht eher eine vielfältige Landwirtschaft erhalten und Produkte, die vor Ort produziert werden, als sie von Gott weiß woher heranzukarren und zu Bedingungen anbauen zu lassen, die wir nicht kennen? Diese Fragen sollten sich Politiker wie Hubertus Heil ernsthaft stellen und entsprechend handeln. Sich in die Tarifautonomie einmischen und bei der Festsetzung des Mindestlohns mitreden zu wollen, ist jedenfalls der falsche Weg. Mindestlöhne sind und bleiben Sache der Tarifpartner. Da sollte Politik sich nicht einmischen.