Von Bayern lernen?
Die Aufmerksamkeit war der bayerischen Regierung sicher, als sie vergangene Woche eine neue Wolfsverordnung erlassen hat. Damit soll die Entnahme problematischer Beutegreifer einfacher vonstattengehen. Vorreiter ist der Freistaat damit allerdings nicht.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Im Oktober wird in Bayern gewählt und Ministerpräsident Dr. Markus Söder muss wie schon bei der letzten Landtagswahl um die Mehrheit für die CSU bangen, deren Vorsitzender er ist. Insofern darf man in dem Beschluss, den sein Kabinett vergangene Woche gefasst hat, durchaus einen Teil der Wahlkampftaktik sehen. Denn die Stimmen der Landbevölkerung, insbesondere die im Voralpenraum, waren bisher durchaus eine Bank für die Union in Bayern. Aber von dort kommt auch der größte Druck, beim Thema Wolf etwas zu unternehmen. Schließlich geht es nicht nur darum, die dortigen Tierhalter zu besänftigen, es geht darum, Weidetierhaltung und Almwirtschaft nicht zu gefährden. Die fallen für sich betrachtet wirtschaftlich kaum ins Gewicht. Aber sie sind unverzichtbar als Kulisse für das wirtschaftliche Schwergewicht Tourismus.
Welches Risiko von übergriffigen Wildtieren ausgeht, haben die Nachbarn im Alpenraum längst ausgemacht und mit eigenen Verordnungen reagiert. So räumt auch Dr. Markus Söder unumwunden ein, dass Tirol und Südtirol Vorbilder für die nun beschlossene bayerische Verordnung sind. Die benennt insgesamt acht Sachverhalte, die definieren, ob von Wölfen eine Gefährdung für den Menschen oder die öffentliche Sicherheit ausgeht; genannt werden zum Beispiel die Annäherung an Menschen oder in Ortschaften, das Töten von Hunden oder unprovoziert aggressives Verhalten. Weiterer Rechtfertigungsgrund für eine Entnahme sind wirtschaftliche Schäden, also im Klartext Nutztierrisse. Allerdings: Eine Entnahme ist nur dann zulässig, wenn andere Maßnahmen der Vergrämung nicht möglich erscheinen oder voraussichtlich erfolglos bleiben. Ob die Voraussetzungen für die Entnahme gegeben sind, entscheidet die Untere Naturschutzbehörde.
Mit der Verordnung, die zum 1. Mai in Kraft getreten ist, hat Bayern also nicht wirklich einen Coup gelandet. Zum einen bleibt nach wie vor ein großer Ermessensspielraum für die entscheidungsbefugte Behörde. Zum anderen schließt die Verordnung den Rechtsweg nicht aus, was bedeutet, dass Entnahmen weiterhin gerichtlich verhindert werden könnten. Und ein Blick nach Tirol, das ähnliche Bestimmungen hat, wie sie jetzt in Bayern erlassen wurden, bringt eine weitere Unwägbarkeit ins Spiel. Gegen die dortige, auf zwei Jahre befristete Verordnung melden Umweltorganisationen massive juristische Bedenken an und erwägen sogar, sie verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. Zwar schwinden die Sympathien für wilde Raubtiere, nachdem in Sütirol ein Bär einen Jogger getötet hat. Den europarechtlichen Rahmen hebelt das allerdings nicht aus. So bezieht Söders Vize, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vom Koalitionspartner Freie Wähler, wesentlich zurückhaltender Stellung: „Wir bewegen uns juristisch auf dünnem Eis.“
Allerdings ist die Union im Bundestag gerade erst wieder mit einem Antrag gescheitert, der eine Bejagung ermöglichen sollte. Zudem hat sich die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke erst vor Kurzem noch einmal in Brüssel dafür starkgemacht, den Schutzstatus beim Wolf beizubehalten. Die Bundesrepublik zementiert damit die Ursachen für eine zunehmende Polarisierung in der Bevölkerung: auf der einen Seite diejenigen, für die der Wolf vor allem ein Symbol für die Sehnsucht nach einer unberührten Natur ist; auf der anderen die Menschen, die Angst um ihre Tiere und mittlerweile auch ihre Angehörigen und sich selbst haben. Vor allem Erstere beschwören oft, dass in Ländern Europas, in denen Wolf oder Bär nie ausgestorben waren, eine friedliche Koexistenz herrschen würde. Dabei vergessen sie aber, dass dort Großraubtiere bejagt werden und sich schon deshalb (meist) von Menschen fernhalten sowie ausreichend Rückszugsräume finden. Das alles bietet Deutschland eben nicht. Die hiesige Population hat mit sicher nachgewiesenen 1 175 Individuen eine Größe, wie sie nicht einmal weit weniger besiedelte Länder Skandinaviens erreichen, und verdoppelt sich bislang alle drei Jahre. Dieses rasante Wachstum wird zwangsläufig zu einer Zunahme der Konflikte führen. Deutschland darf daher nicht warten, bis sich vielleicht nach der nächsten Bundestagswahl die Einstellung der Regierung ändert. Der Vorstoß Bayerns mag zwar wahltaktisch veranlasst sein. Das sollte aber andere Bundesländer, auch Nordrhein-Westfalen, nicht daran hindern, auf der nächsten Umweltministerkonferenz, die in wenigen Tagen auf dem Petersberg bei Bonn stattfindet, auf ein bundesweites Wolfsmanagement zu drängen. Denn Landesgrenzen sind dem Wolf egal.