06.11.2024

30 % im Blick

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Klimakrise und Biodiversitätskrise werden von manchen als größte Herausforderungen angesehen. Die Weltbiodiversitätskonferenz COP 16 macht da keine Ausnahme. Sie bekräftigte ein Ziel, an dem auch die Politik in Deutschland und im Rheinland nicht vorbeikommt. Die Frage ist, wie ist der beste Weg dahin: über Ordnungsrecht oder Kooperation?

In Sachen Schutzgebiete ist Nordrhein-Westfalen bundesweit das Schlusslicht. Das stellte zumindest der Naturschutzbund (NABU) in NRW Anfang dieser Woche fest. Seine Aussage stützt er auf eine von dem NABU-Bundesverband in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „Voraussetzungen aus organisatorischer und Verwaltungssicht zur Erfüllung der Qualitätskriterien für Schutzgebiete gemäß EU-Biodiversitätsstrategie“. Der Titel liest sich sperrig, aber verrät sofort, dass es nicht um eine bloße Auflistung der Schutzgebiete quer durch die Republik geht. Die Studie ist vor allem eine Art Leitfaden, die systematisch aufführt, mit welchen (juristischen) Hebeln haupt- und ehrenamtlich engagierte Naturschützer Hand anlegen und Druck ausüben können, wenn es mit den Schutzgebieten nicht so läuft, wie sie es sich wünschen.

Natürlich liefert der NABU eine Bestandsaufnahme mit und zeigt für die einzelnen Bundesländer auf, welche Kategorien an Schutzgebieten es dort gibt, wie sie charakterisiert sind, welche rechtlichen Regelungen dafür maßgeblich sind (national wie landesspezifisch) und welche Parameter für das Management dieser Gebiete den Ausschlag geben. Es wird also das Ist beschrieben und das Soll definiert. Man braucht noch nicht einmal die 85 Seiten umfassende Studie bis zum Ende zu lesen, um zu wissen: Unter dem Strich steht, dass es mit dem Schutz der Biodiversität mittels Naturschutzgebieten, Nationalparks, Biosphärenreservaten sowie Natura-2000-Gebieten – also FFH- und EU-Vogelschutzgebieten – nicht durchgehend zum Besten steht. Und in NRW schon gar nicht.

Diese Auffassung ist nicht neu. Ob sie stimmt, lassen wir dahingestellt. Es lässt sich immer trefflich über die Annahmen, die einer solchen Studie zugrunde liegen, und die Schlussfolgerungen streiten. Wer die möglichen Folgen zu spüren bekommen könnte – land- und forstwirtschaftliche Betriebe gehören stets dazu, weil sie Flächen bewirtschaften, die es möglicherweise betrifft –, sollte sich aber immer Kontext und Hintergrund bewusst machen, wenn solche Studien platziert werden. Der aktuelle Hintergrund heißt COP 16. Die Weltbiodiversitätskonferenz ist am Samstag im kolumbianischen Cali ohne ein medienträchtiges Ergebnis zu Ende gegangen. Deswegen wird ein Punkt hochgehalten, auf den sich die teilnehmenden Staaten schon 2022 in Montreal verpflichtet hatten: mindestens 30 % der Land- und Meeresflächen weltweit unter Schutz zu stellen. Das Ziel hat sich auch die EU gesteckt, und das schon zwei Jahre früher. In der EU-Biodiversitätsstrategie hat sie festgelegt, dass bis 2030 „mindestens 30 % der europäischen Land- und Meeresgebiete in wirksam bewirtschaftete Schutzgebiete” umgewandelt werden sollen. Das von Land- und Forstwirtschaft heftig kritisierte Nature Re­storation Law (NRL) ist eine Folge davon.

Was bezweckt nun der NABU? Mangels weitreichenderer Botschaften von der COP 16 soll wenigstens dieses 30 %-Ziel nicht in Vergessenheit geraten. Die vorgelegte Studie soll bestehende Defizite aufdecken und vor allem Druck machen, die Umsetzung zu forcieren. Nicht umsonst widmet sich ein Großteil der Betrachtungen einer akribischen Auflistung der jeweiligen rechtlichen Regelungen. Der NABU winkt so auch mit der ordnungspolitischen Keule. Dabei funktioniert Biodiversitätsschutz durchaus auch ohne diese Drohung. Der NABU NRW lieferte dabei am Montag ein Beispiel dafür mit. So zeige das FFH-Gebiet Fleutkuhlen (das liegt zwischen Geldern und Issum), dass „Naturschutz durch gemeinsames Engagement machbar ist”. Das Gebiet sei durch Kooperation – unter anderem von NABU und lokalen Landwirtinnen und Landwirten – aktiv geschützt und durch nachhaltige Nutzung zu einem Naturrefugium entwickelt worden.

Schön, dass der NABU selbst auf solche Beispiele hinweist! Denn hört man sich in der Region um, hängt der Erfolg an den Menschen und daran, dass sie sich zuhören und es ein Verständnis für die gegenseitigen Belange gibt. Zudem sollten alle Seiten einen Nutzen haben. Der muss im Fall von Land- und Forstwirtschaft eben auch wirtschaftlich spürbar sein. Land und Bund tun daher gut daran, bei der Erfüllung der Biodiversitätsziele auf Kooperation zu setzen. Zu begrüßen wäre auch, wenn Naturschutzorganisationen allerorten einsehen würden, dass hochgesteckte Ziele so besser zu erreichen sind als mit ordnungsrechtlicher Rechthaberei. Eines sollte dabei zudem nicht unter den Tisch fallen. Natürlich braucht es Zahlen, um Ziele zu definieren und zu prüfen, wie weit man damit schon gekommen ist und wo nachgehalten werden muss. Das macht Sinn. Keinen Sinn macht es allerdings, dass solche Zahlen selbst noch im letzten Winkel des Landes bis aufs Komma genau als Maßstab aller Dinge angelegt werden. Denn in dicht besiedelten Räumen wie NRW ist es eben nicht so leicht wie anderswo, der Natur freien Lauf zu lassen. Hier darf und hier muss bei der Zielerfüllung über einzelne Regionen hinaus gedacht werden.