04.04.2024

Das geht auch uns an

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Weltweit landet ein Fünftel der Lebensmittel im Müll. Das ist mehr, als nötig wäre, um jeden Menschen, der weltweit hungert, mit einer Mahlzeit am Tag zu versorgen. Was hat die hiesige Landwirtschaft damit zu tun?

Auch wenn Sie das Wort nicht kennen, Whataboutism sind Ihnen bestimmt schon begegnet. Bei Diskussionen in der digitalen Welt, zum Beispiel auf Facebook oder X (ehemals Twitter), aber auch im richtigen Leben. Der Begriff beschreibt eine Argumentationsstrategie, die manchmal unbewusst, meistens aber ganz bewusst eingesetzt wird, um von einem Thema abzulenken. Eingeleitet wird sie meist mit den Worten wie diesen: „Aber was ist mit ...?“

Beim Thema Lebensmittelverschwendung könnten es sich die Landwirtinnen und Landwirte hierzulande einfach machen. Denn nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland haben Privathaushalte knapp 60 % der Lebensmittelabfälle zu verantworten. Laut offiziellen Zahlen werfen sie jährlich 6,5 Mio. t Lebensmittel in die Tonne. Bei mehr als einem Drittel davon ist Verderbnis der Grund, so die Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK, 2020), und nur bei 5 % der von Privatleuten weggeworfenen Lebensmittel liegt eine Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums vor. Laut Welthungerhilfe werden Obst und Gemüse mit einem Anteil von 35 % in Deutschland am häufigsten weggeworfen. Global betrachtet bedeuten Lebensmittelabfälle den Verlust von täglich einer Milliarde Mahlzeiten. Gleichzeitig leiden weltweit 783 Millionen Menschen akut unter Hunger, so das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP).

Wie viele andere Staaten haben sich auch die Bundesrepublik und die EU zum Ziel gesetzt, diese Verschwendung zu reduzieren. Bis 2030 soll die Menge um die Hälfte reduziert werden. Erreicht werden soll das auf verschiedenen Wegen. In Frankreich sind zum Beispiel die Supermärkte seit einigen Jahren dazu verpflichtet, überschüssige Lebensmittel oder solche, deren Haltbarkeit abzulaufen droht, an Bedürftige abzugeben. In Deutschland spenden die Supermärkte jährlich Hundertausende Tonnen Lebensmittel an die Tafeln. Staatlich geförderte Kampagnen wie „Zu gut für die Tonne!“ sollen die Bürgerinnen und Bürger zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln bewegen. Auch viele Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben sich das Thema auf die Fahnen geschrieben. Dabei führen sie ethische Gesichtspunkte genauso ins Feld wie den Fakt, dass mit jedem nicht verzehrten Lebensmittel Ressourcen verloren gehen und das Klima beeinträchtigt wird. Nachhaltiger Konsum lautet das passende Schlagwort dazu.

Ich unterstütze die Forderung, sorgsam mit Lebensmitteln umzugehen und so unnötige Abfälle zu vermeiden, ohne Abstriche. Denn es geht nicht nur um Rohstoffe und den Schutz unserer natürlichen Ressourcen, es geht auch um die Wertschätzung für die, die mit ihrer Arbeit für diese Lebensmittel sorgen. Keine Unterstützung und schon gar kein Verständnis habe ich dafür übrig, wenn NGOs in dem Zusammenhang der Landwirtschaft und den Betrieben der Lebensmittelkette – wieder einmal – einen Großteil dessen auferlegen, was im dem Zusammenhang notwendig wäre zu tun. So hat eine Mitarbeiterin des WWF (World Wide Fund For Nature) Deutschland im Herbst bei einer Anhörung des Ernährungsausschusses im Bundestag dafür plädiert, im Hinblick auf Lebensmittleverluste eine Berichtspflicht für Unternehmen einzuführen. Auch sei eine sektorübergreifende Kontrollstelle erforderlich, um die Lebensmittelverschwendung transparenter zu machen, heißt es.

Für mich ein Fall von Whataboutism und eine Verleugnung von Realitäten. Ich kenne jedenfalls keine Landwirtin und keinen Landwirt, die nicht jederzeit versuchen, alles zu unternehmen, um Verluste auf dem Feld oder bei der Lagerung so umweltfreundlich wie möglich zu vermeiden. Welcher Betrieb will schließlich ohne Not den Ertrag der eigenen Arbeit schmälern? Dabei wird es ihnen, Stichwort Pflanzengesundheit, sogar immer schwerer gemacht, das zu erreichen – konventionellen Betrieben durch Einschränkungen bei Pflanzenschutzmitteln, biologisch wirtschaftenden, indem mechanische Bekämpfungsmaßnahmen durch die Streichung der Dieselbeihilfe verteuert werden. Statt die Landwirtschaft mit einem Anteil von knapp 2 % an den nationalen Lebensmittelabfällen (laut BMEL) nach vorne zu schieben, scheuen die NGOs – und das trifft nicht nur auf den WWF zu – aber davor zurück, die mehrheitliche Verantwortung deutlicher zu benennen. Die Gründe kann man sich denken, oder nicht?