Einfach genug?
EU-Agrarkommissar Christophe Hansen hat seine Vereinfachungsvorschläge für die GAP vorgelegt. Naturgemäß stoßen die auf ein geteiltes Echo. Den einen, vor allem Vertretern von Natur- und Umweltschutz, gehen sie zu weit, vielen Landwirtinnen und Landwirten nicht weit genug.
Die Zahlen lesen sich zunächst beeindruckend. Bis zu 1,58 Mrd. € sollen die Vorschläge, die EU-Agrarkommissar Christophe Hansen zur Vereinfachung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) gemacht hat, den landwirtschaftlichen Betrieben in der Gemeinschaft bringen. Noch einmal 210 Mio. € sollen die Einsparungen für die nationalen Verwaltungen betragen. Wie viel schließlich dort jeweils ankommt, kann heute keiner sagen. Denn noch sind Hansens Vorschläge, was sie sind: Vorschläge eben und noch keine Richtlinie und kein Gesetz. Jetzt sind erst einmal Rat und EU-Parlament als Mitgesetzgeber am Zug.
Hürden könnten an beiden Stellen lauern. Manchen (vor allem landwirtschaftlichen Betrieben) gehen die Lockerungen bei den Konditionalitäten nicht weit genug. Andere (vor allem Vertreter von Umwelt- und Naturschutz) sehen in den Ansätzen eine Aushöhlung des Green Deal. Im Parlament scheint es allerdings eine Mehrheit zu geben, so dass die Vorschläge im Schnellverfahren durchgewunken werden könnten. Dafür machen sich auch etliche deutsche Abgeordnete stark. Unklar ist die Stimmungslage derzeit im Rat. Meldet der Änderungsbedarf an, kommt es zu einem Trilog zwischen Rat, Parlament und Kommission. Erfahrungsgemäß kann sich das in die Länge ziehen. Der Rat will sich bei seiner nächsten Zusammenkunft in einer öffentlichen Aussprache mit der „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ der EU-Kommission befassen. Dabei geht es zwar nicht nur um die jüngsten Vorschläge von Hansen, aber sie werden einen breiten Raum einnehmen. Am 26. Mai weiß man mehr darüber, in welche Richtung bei den europäischen Agrarministern der Daumen geht.
Worin sich alle einig sind, Befürworter wie Kritiker von Hansens Vorschlägen: Verwaltungsaufwand und Bürokratie für die Betriebe müssen weniger werden. Ein paar Vereinfachungen bei den Konditionalitäten sind allerdings noch kein großer Wurf, zumal sie auch nicht alle Betriebe im Land betreffen. Und auf Digitalisierung sowie Kontrollen aus dem Orbit via Satellit zu setzen, ist erst einmal nicht mehr als ein frommer Wunsch. Zum einen verfügt die EU längst nicht über die nötige eigene Satelliteninfrastruktur dafür, sondern ist nach wie vor auch auf US-amerikanische Dienste angewiesen. Zum anderen liegen die meisten verwaltungstechnischen Prozesse, die den Betrieben das Leben schwer machen, in nationalen und regionalen Händen, auch wenn sie auf Vorgaben der EU beruhen. Hansen hat hier kaum einen wirklichen Hebel für die nötige Harmonisierung, die es braucht, um Verwaltung und Bauern das Leben leichter zu machen. Schon in Deutschland sorgen regionale Besonderheiten und Ausnahmen, mit denen man auf diese Besonderheiten Rücksicht nehmen will und muss, dafür, dass eine Vereinheitlichung der Agrarförderung noch in den Kinderschuhen steckt.
Hansens Antritt ist deshalb zwar ehrenwert, aber nicht der große Wurf. Das zeigt sich auch, wenn man einmal das Einsparpotenzial, das der EU-Agrarkommissar bei der Vorstellung in der vergangenen Woche vorgerechnet hat, ins Verhältnis setzt. Mit durchschnittlich 10 Mio. € jährlich je Mitgliedstaat sind die Einsparungen für die Verwaltungen nicht gerade üppig. Damit dürfte sich noch nicht einmal die erforderliche Digitalisierung in den jeweiligen Agrarverwaltungen finanzieren lassen, die es braucht, um die Einsparungen überhaupt zu heben. Mit umgerechnet 10 € je Hektar prämienberechtigter Nutzfläche fällt der mögliche Vorteil für die Betriebe ebenfalls nicht groß aus. Mehr als guten Willen hat Hansen mit den Vorschlägen also nicht bewiesen. Demnächst tritt das Ringen um den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU in die heiße Phase ein, außerdem geht es um die Konturen der GAP nach 2027. Dann muss Hansen einen starken Willen beweisen – damit vom einen weniger (Bürokratie) und vom anderen (Prämien) mehr drin ist.