18.10.2023

Erholung

Foto: Elena Peters

Nachdem ich Sie vor vier Wochen dazu mitgenommen habe, wie das „Nichtstun“ im Urlaub aussehen kann, möchte ich Ihnen diese Woche eine Erkenntnis mit auf den Weg geben, die ich genau während des „Nichtstuns“ gewonnen habe. So lag ich an einem Nachmittag am Naturteich, lauschte den grasenden Kühen mit ihrem angenehmen Glockenton und las eine Zeitschrift. Dabei stieß ich auf nachstehende, spannende Aussage von Nicola Jane Hobbs (Psychotherapeutin aus Brighton). „Anstatt dich zu fragen: ‚Habe ich hart genug gearbeitet, um Erholung zu verdienen?‘, frage dich: ‚Habe ich mich lang genug erholt, um meiner Arbeit genug Bedeutung und Liebe zu geben?‘ “ Ich kam ins Grübeln, hatten mich in den letzten Tagen doch ähnliche Gedanken begleitet: „Habe ich mir diesen Urlaub mit all seinen Vorzügen wie gutem Essen, einem großen Wellnessbereich und hochwertigen Getränken wirklich verdient?“ oder „Hätte ich vor Urlaubsbeginn noch die ein oder andere Aufgabe mehr auf dem GeHo abarbeiten können/müssen?“ Tatsächlich steht in unserem Alltag der Selbstständigen die Arbeit im Vorder- und die Erholung im Hintergrund. Dass ich am Ende des Tages aber qualitativ besser arbeite und damit noch andere Vorteile generiere (wie die der langen Gesundheit), wenn der Blickwinkel auf die Relation von Arbeit und Erholung geändert wird, war mir bis dato nicht in dieser Form klar. Ich surfte also zu diesem Statement weiter auf meinem Handy rum – schließlich hatte ich nun Zeit satt dazu – und fand mich bei dem Begriff der „Protestantischen Arbeitsethik“ wieder. Auch wenn Ihnen dieser Begriff vielleicht auf Anhieb nichts sagt, bin ich sicher, dass die meisten von Ihnen den Inhalt sehr gut kennen und nachvollziehen können: „Die protestantische Arbeitsethik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung von Arbeit als Pflicht, die man nicht infrage stellen darf. Die Arbeit bildet den Mittelpunkt des Lebens, um den herum Freizeit gestaltet wird.“ Genauso ist es doch: Die Arbeit auf unseren Höfen bestimmt unseren Alltag und bildet damit den Mittelpunkt des beruflichen, gleichwohl aber auch privaten Lebens. Im Umkehrschluss: Man muss sich die Erholung erst wirklich verdienen. Dass eine solche Arbeitsethik als selbstständige Unternehmerin auch oder gerade in der grünen Branche ein Vorteil und Erfolgsgarant ist, stelle ich nicht infrage. Aber sind diese Glaubenssätze 2023 noch aktuell oder müssen sie moderner gedacht werden? Muss ich arbeiten bis zum Umfallen – das Thema Burn-out ist auch in der Landwirtschaft präsenter als je zuvor – oder trage ich zu meiner Leistungsfähigkeit bei, wenn ich mir Erholung gönne und mich für diese weder vor mir noch vor anderen schäme? Ihre Christina Ingenrieth