Es bleibt immer was
Ein Jahr große Bauerndemonstrationen, 500 Jahre Bauernkrieg – die beiden Ereignisse haben Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede. Was wirkt nach und was hat Bedeutung über damals und heute hinaus?
Die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Thüringen gedenken in diesem Jahr mit großen Landesausstellungen des Bauernkriegs vor 500 Jahren. In Bayern und Baden-Württemberg finden ebenfalls Veranstaltungen statt, die an die damaligen Ereignisse erinnern sollen. Auch für Historiker und Medien ist das ein Anlass, Ursachen und Folgen der Bauernaufstände im Jahr 1525 in den Blick zu nehmen. Man kann es verstehen, wenn dieses Jubiläum im Rheinland dagegen wenig Beachtung findet. Denn schon damals sind die Geschehnisse an der Region weitgehend vorbeigegangen. Vor allem in Süd- und Mitteldeutschland und in Teilen des Alpenraums erhoben sich Tausende, um sich gegen Willkür, Abgabenlast und Unterdrückung durch Adel und Klerus zur Wehr zu setzen.
Für die wenigsten Aufständischen ging das gut aus. Zehntausende wurden bei den Schlachten niedergemetzelt oder gefangen genommen und hingerichtet. Wer fliehen konnte, wurde geächtet und war somit vogelfrei. Er war damit nicht nur völlig der wenigen Rechte beraubt, welche die Landbevölkerung in jener Zeit hatte, es durfte ihm darüber hinaus niemand Schutz gewähren und jeder durfte ihn gefangen nehmen und ausliefern. Das bisschen Eigentum, das die Gefallenen und Geächteten und ihre Familien besessen hatten, verleibten sich dagegen die Herrschenden ein. Nur in Ausnahmefällen gelang es Aufständischen, der Obrigkeit Zugeständnisse abzuringen.
Nicht durchsetzen konnten die Bauern, was manche heute als die Urform einer schriftlichen Erklärung der Menschenrechte würdigen. Die Zwölf Artikel von Memmingen kamen zustande, weil viele der zunächst völlig unorganisierten Gruppen erstmals geeint gegenüber der Obrigkeit auftraten. Sie forderten darin unter anderem die Einhaltung bestehender Besitzbedingungen, also verbindliche Eigentumsrechte, die Aufhebung der Leibeigenschaften, verbindliche Regelungen für Abgaben (Zehnt) und Arbeitsdienste (Fron) und klare statt willkürlicher Regelungen im Fall von Bestrafungen. Was uns heute als selbstverständlich und unverhandelbar gilt, sind grundlegende Menschenrechte. Die streitbaren Bauern von damals haben ihnen den Boden mit bereitet, auch wenn ihnen diese selbst erst Jahrhunderte später zugestanden wurden.
499 Jahre danach sind in Deutschland wieder Bäuerinnen und Bauern aufgestanden. Im vergangenen Jahr sind sie aber nicht nur im Süden und in der Mitte Deutschlands, sondern von Flensburg bis Garmisch und von Aachen bis Frankfurt/Oder überall auf die Straße gegangen und gefahren. Wie ihre Vorfahren waren sie mit den Herrschenden unzufrieden und haben viele Vorgaben, die ihnen von oben gemacht wurden, als Willkür empfunden. Aber anders als damals haben sie auf friedliche Mittel gesetzt und sie haben Bäuerinnen und Bauern in den Nachbarländern ermutigt, ebenfalls ihren Unmut in die Öffentlichkeit zu tragen. Das ist, auch wenn sie nicht alle Forderungen erfüllt bekommen haben, mehr, als ihre Berufskolleginnen und -kollegen damals erreicht haben. Zumal sie noch etwas erreicht haben: Wohlwollen und Verständnis bei anderen Bevölkerungsgruppen.
An der Politik ist das nicht spurlos vorbeigegangen und hat dafür gesorgt, dass die Menschen in und um die Landwirtschaft wieder ins Bewusstsein vieler Politikerinnen und Politiker gerückt sind. Das ist auch bei den zahlreichen Anlässen zu spüren, wo die nun auf Praktikerinnen und Praktiker treffen – auf der zurückliegenden Grünen Woche in Berlin genauso wie auf den Diskussions- und Dialogveranstaltungen, die gerade überall im Rheinland stattfinden. Hier dürfen auch die Unzufriedenen Kritik üben, ohne Angst, Leib, Leben und Rechte zu verwirken. Das haben sie mitunter auch den Vorfahren zu verdanken, die mit ihren Zwölf Artikeln heute gesetzlich verbriefte Grundrechte eingefordert haben.
Ein Weiteres ist heute anders als vor 500 Jahren: Landwirtinnen und Landwirte werden heute nicht mehr wie damals ahnungslos gehalten. Die Gesellschaft und auch jeder einzelne landwirtschaftliche Betrieb hat zudem trotz aller Auflagen viele Freiheiten und Möglichkeiten, für die Generationen unserer Vorfahren gestritten und gelitten haben. Gefördert durch Elternhaus, Schule und Ausbildung, Medienvielfalt sowie Meinungsfreiheit haben wir alle Möglichkeiten, Falschaussagen und einseitige Ideologien zu entlarven. Viele der verarmten und unterdrückten Bauern glaubten vor 500 Jahren in ihrer Not indes, dass sie nicht mehr viel zu verlieren haben, und schlossen sich zum Teil selbst ernannten Heilsbringern an. Anders als die aufrichtigen Streiter für die Sache der Bauern hatten die seinerzeit aber nur im Sinn, die Unruhen für ihre Verblendungen auszunutzen. Wer das heute aus Momenten des Grolls heraus vergisst, hat aus 500 Jahren Geschichte nichts gelernt und setzt viel aufs Spiel.