13.11.2024

Heute Chance, morgen Gefahr?

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Wegen des Ampelbruchs werden einige Wünsche der alten Bundesregierung unter der jetzigen rot-grünen Minderheitsregierung nicht mehr Realität werden. Die Regierungskrise gefährdet dabei sicher nicht die Agrarpolitik, verhindert aber das Beenden einiger agrarpolitischer Vorhaben. Zum Schaden der Landwirtschaft muss das nicht sein.

Der Bruch der rot-grün-gelben Regierungskoalition in Berlin kam nicht überraschend. Die Unstimmigkeiten zwischen den Ampelpolitikern wurden immer mehr und sie wurden immer öfter nicht hinter den Kulissen, sondern in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Es war nur eine Frage der Zeit, dass der Knatsch zum Bruch wird. Spannend waren am Ende nur noch die Fragen, wann es passiert und wer den ersten Stein wirft. Folgt man dem ehemaligen Finanzminister Christian Lindner, dann war es Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber genauso gut könnte zutreffen, dass Scholz nur schneller war und Lindner zuvorgekommen ist. Das ist nun aber auch egal. Wichtiger ist der Blick nach vorne. Hier steht ganz oben, wann der Bundeskanzler die Vertrauensfrage im Parlament stellt und dann Neuwahlen stattfinden können.

Genauso wie weite Teile von Wirtschaft und Industrie fordern viele Vertreter der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft rasche Neuwahlen. Kanzler Scholz kann sich das nach erstem Rumeiern nun durchaus schon vor Weihnachten vorstellen. In den vergangenen Tagen tat er allerdings fast so, als ob das mehr an der Union als an ihm liegen würde. Er vermittelte den Eindruck, der Weg zur Neuwahl könnte erst frei gemacht werden, wenn – mit Zustimmung der Union – noch verschiedene Vorhaben den Bundestag passiert hätten, und solange müsste er im Amt bleiben. Verfassungsrechtlich bewegt er sich damit auf dünnem Eis. Denn was der Bundestag zu entscheiden hat, dazu braucht es eben keinen Kanzler. Dazu braucht es Mehrheiten. Aber die, das liegt auf der Hand, fallen Scholz nicht in den Schoß. Deshalb hat er den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich auch losgeschickt, die zu organisieren, notfalls wohl mit einem Deal mit der Union: Zustimmung gegen frühere Neuwahl. Was die SPD gerade vollzieht, ist schon Wahlkampf und kein Dienst an der Republik.

Was Scholz noch durchbringen möchte, hat wenig mit Landwirtschaft zu tun. Auch in dem Papier zur Wirtschaftswende von Lindner, das schließlich den offenen Bruch zwischen beiden mit befördert hat, kommt Landwirtschaft nicht vor. Das zeugt schon einmal davon, dass die landwirtschaftlichen Anliegen noch unter der vormaligen und jetzt unter der provisorischen Regierung keine Priorität hatten und haben. Deswegen wird auch niemand damit rechnen müssen, dass sich irgendwer auf die Hinterbeine stellt und mit irgendwelchen Tricks die noch ausstehenden Projekte im Ressort von Bundesagrarminister Cem Özdemir durchpeitscht. Hinzu kommt, dass der mit dem Herzen sowieso schon nach Baden-Württemberg heimgekehrt ist. Darüber hinaus hat er übergangsweise nun auch noch das Forschungsministerium zu verwalten. Wer soll da noch den Biss und die Lust aufbringen, Vorhaben seines Ministeriums zu Ende zu bringen?

Die Novellierungen von Bundeswaldgesetz und Tierschutzgesetz, das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz oder die Tierhaltungskennzeichnung werden so bis zum Start einer neuen Regierung nicht mehr angefasst werden. Ob es zur Kürzung der Vorsteuerpauschale auf 8,4 % im Rahmen des Jahressteuergesetzes kommen wird, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit sagen. Denn mit dem Ampel-Aus steht auch der Bundeshaushalt infrage.

Land- und Forstwirtschaft kann es nur recht sein, dass es bei diesen Themen erst einmal eine Verschnaufpause gibt. Untätigkeit führt aber dazu, dass die Unsicherheit, worauf sie sich einlassen und verlassen können, weiter andauert. Und das ist genau das, was Land- und Forstwirte jetzt am wenigsten brauchen: dass die Hängepartie weitergeht. Sie brauchen stattdessen, wie die gesamte Wirtschaft, ein entschlossenes Handeln, das von Mehrheiten getragen wird und nicht von ideologischen Tagträumen. Wie diese Mehrheiten nach einer Neuwahl allerdings aussehen, steht in den Sternen. Mögliche Konstellationen wie eine erneute große Koalition von Union und SPD oder schwarz-grün wie in NRW oder Schleswig-Holstein lassen aber die Befürchtung zu, dass just dieselben Projekte von dem früheren Koalitionspartner in eine neue Regierungskoalition eingebracht werden. Wer immer eine Wende für die Zeit nach einer Neuwahl verspricht, muss dafür sorgen, dass die nicht halbherzig erfolgt. Denn es muss dann auch dort angepackt werden, wo die Ampel Deckel darauf gemacht hat, unter anderem beim Agrardiesel.