Meine Meinung zählt!
Hofnachfolgerin zu sein bedeutet für mich nicht, den Betrieb „einfach“ in die Zukunft zu führen, indem ich die Aufgaben von vorhandenen Personen übernehme und stumpf weiterführe. Es bedeutet, in eine Rolle hineinzuwachsen, die Verantwortung, Entscheidungskraft und Selbstbewusstsein verlangt. Und das in einem Umfeld, in dem Tradition und familiäre Strukturen mit am (Schreib-)Tisch sitzen. Dabei merke ich immer wieder: Es braucht Mut, die eigene Meinung zu vertreten. Im Kleinen, wenn es um die Anpassung der Lieferzeiten geht, oder die Frage, wie wir mit einer schwierigen Kundenanfrage umgehen. Aber auch im Großen: Welche Richtung soll der GeHo künftig einschlagen?
Und ich bin ehrlich: Dieser Mut ist nicht immer da. Er kommt auch nicht über Nacht (zumindest bisher nicht). Es ist ein Lernprozess. Einer, der mich auch privat begleitet – zum Beispiel ganz aktuell bei der Planung unserer Hochzeit. Kaum war die Verlobung ausgesprochen, kamen sie, die gut gemeinten Ratschläge: „Ihr müsst unbedingt …“, „Wir haben das damals so und so gemacht!“, „Aber ihr habt doch sicher auch … eingeladen?“ All diese Tipps sind ohne Zweifel gut gemeint – beruflich wie privat. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Denn was als Hilfe gedacht ist, kann sich für den Empfänger schnell belastend und übergriffig anfühlen.
Ich habe gelernt: Nicht jeder Vorschlag muss umgesetzt, nicht jede Meinung übernommen werden. Viel wichtiger ist es, in sich hineinzuhören. Die Psychologin Alexandra H. Solomon hat es für mich auf den Punkt gebracht: „So viele Kämpfe können vermieden werden, indem wir mutig darum bitten, was wir brauchen, anstatt uns wütend zu beschweren, dass wir es nicht bekommen haben.“ Um bei dem Zitat zu bleiben, könnte ich dann auf die oben genannten Kommentare antowrten: „Ich verstehe, was du meinst, und mache es so, wie ich es für richtig halte.“
Wir sollten uns im Alltag öfter selbst fragen: „Will ich gerade wirklich helfen – oder einfach nur meine Meinung sagen?“ Nicht immer ist das, was wir mitteilen wollen, auch das, was unser Gegenüber gerade braucht. Wenn wir uns nicht sicher sind, hilft eine einfache Frage: „Möchtest du meine Meinung oder meine Erfahrungen dazu hören?“ So zeigen wir Respekt und geben Raum. Es geht nicht darum, jemandem vorzuschreiben, wie etwas „richtig“ geht. Sondern eher darum, Impulse zu geben – ganz frei, als Einladung. Vielleicht inspiriert es. Vielleicht auch nicht. Beides ist okay.
Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie diesen Mut manchmal aufbringen können.
Christina Ingenrieth
