Neue Deutung der Bauernproteste
Eine aktuelle Studie der Humboldt-Universität liefert einen neuen Erkläransatz für die europaweiten Bauernproteste rund um den Jahreswechsel 2023/24. Laut der Analyse sind heute viele Landwirte wirtschaftlich abhängig von den Direktzahlungen, gleichzeitig signalisiert die Brüsseler Agrarpolitik ein gewissen Misstrauen gegenüber dem Sektor. Die sich daraus ergebenden Spannungen könnten laut den Agrarpolitologen zu einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) beigetragen haben, die sich letztlich in den Traktorprotesten niedergeschlagen hat. Wie die Wissenschaftler ausführen, hat sich die Art, wie die Subventionen in den Sektor fließen, im Laufe der Zeit stark verändert und damit auch die Rolle von Landwirten in der Gesellschaft sowie ihr Verhältnis zum Staat.
Die heutigen Direktzahlungen sind im Gegensatz zu der GAP-Anfangszeit von der Agrarproduktion weitgehend entkoppelt und dafür an mehr und mehr Vorbedingungen geknüpft. „Neben den Ökoregelungen, die Verhaltensauflagen machen, werden die Zahlungen auch an Kategorien gebunden, sodass es zu einer Umverteilung von großen zu kleinen Betrieben und – durch spezielle Leistungen für Junglandwirte – von alt zu jung kommt“, sagte Dr. Pascal Grohmann von der Humboldt-Universität Berlin und Erstautor der Studie. Der Logik der heutigen Agrarpolitik nach, hätten Landwirte heute Einkommensstützen „nur noch bedingt und unter Auflagen verdient“, so Grohmann.
Gleichzeitig, so der Wissenschaftler, stünden die Tätigkeiten von Landwirten unter wachsamer Beobachtung. Das Kontrollsystem der GAP, dass eigentlich die ordnungsgemäße Verwendung von EU-Mitteln sicherstellen solle, drücke mittlerweile ein institutionalisiertes Misstrauen in die Bereitschaft der Landwirte aus, ihre Flächen im Einklang mit den gesellschaftlichen Erwartungen und Standards zu bewirtschaften, erklärte Grohmann.
Hinzu komme, dass viele landwirtschaftliche Betriebe aufgrund des ökonomischen Drucks inzwischen abhängig von den staatlichen Transferleistungen seien, „obwohl die Teilnahme am Förderprogramm eigentlich freiwillig ist“, ergänzte Co-Studienautor Prof. Peter Feindt. Dem Staat sei damit ein Hebel zur Hand gegeben, über Förderbedingungen bessere Umwelt- und Tierwohlpraktiken in den Betrieben durchzusetzen. „Das führt zu Spannungen mit dem Selbstverständnis vieler Landwirte als unabhängige Unternehmer, die ihre Produktion maximieren wollen“, gab der Leiter des Fachgebiets für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität Berlin zu bedenken. AgE