13.09.2023

Nichtstun

Foto: Elena Peters

Während ich diese LZ-Kolumne schreibe, befinde ich mich kurz vor unserem Wanderurlaub im Allgäu. Acht Tage wandern, Bücher lesen, die schon so lange darauf warten, gelesen zu werden, in Hütten schmausen, bis man platzt, so lange schlafen, bis der fehlende Schlaf der vergangenen Monate aufgefüllt ist – in Gänze einfach Zeit haben, um einfach mal nichts zu tun. Beim letzten Begriff muss ich schmunzeln: Nichtstun. Kann ich das überhaupt? Vor allen Dingen kann ich es, ganz ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben? Puh, gute Frage. Eigentlich ist Nichtstun ja ein Verhalten ohne Aktivität. Und genau damit fängt es an. Wenn man wie ich als Kind auf einem Hof mit selbstständigen Eltern aufwächst, wächst man gleichzeitig mit Sätzen auf wie „keinen leeren Gang“, was so etwas heißt wie nie mit leeren Händen gehen, oder der Lieblingssatz aller: „Es gibt immer etwas zu tun.“ Das wirklich richtige Nichtstun wird eigentlich ausgeblendet und schon gar nicht gelernt. Passend dazu hörte ich zuletzt die eine Folge aus dem Podcast „Betreutes Fühlen“ von Dr. Leon Windscheid und Atze Schröder mit dem Titel „Richtig nichts tun“. Beim Thema Zeit und wie diese sich auf unser Leben auswirkt, erfuhr ich nachstehende Zahl: Wenn ich 80 Jahre alt werde, lebe ich circa 4 000 Wochen. Oha – von diesen 4 000 Wochen habe ich mit meinen 30 Jahren nun bereits 1 564,29 Wochen gelebt. Wenn ich nun darüber nachdenke, wie ich allein meine letzte Woche mit dem Einhalten von Terminen und dem Abarbeiten von To-do-Listen gefüllt habe, muss ich feststellen, dass ich in dieser viel zu wenig „nichts getan“ habe beziehungsweise zu wenig achtsam mir selbst gegenüber war. Und die Wochen davor sahen nicht besonders anders aus. Verstehen Sie mich hier nicht falsch. Mir geht es nicht darum, dass ich lieber einen sogenannten Nine-to-Five-Job hätte und die Vorzüge der Selbstständigkeit nicht zu schätzen wüsste oder gar meinen Eltern damit einen Vorwurf machen möchte. Nein, ganz im Gegenteil: Gerade in der Selbstständigkeit haben wir doch die Möglichkeit, vielleicht sogar die Pflicht, uns um uns selbst zu sorgen und auf uns zu achten. Es wird dabei aber niemand von außen zu mir kommen und sagen: „Liebe Christina, jetzt nimm dir doch einmal bewusst Zeit für dich selbst und lebe achtsam.“ Ein kleiner Fortschritt wäre es daher doch, wenn wir unsere Glaubenssätze über Bord werfen und voller Stolz dazu stehen, mehr als sieben Tage im Jahr Urlaub zu machen und endlich mal bewusst „nichts zu tun“. Ich bin sicher, dass es nicht wehtun wird. Daher denke ich in den Bergen, auf einer Bank zwischen den Kühen sitzend, an Sie und wünsche Ihnen und mir, ganz besonders für die kommenden Urlaubstage, Folgendes, was Astrid Lindgren einmal sagte: „Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Christina Ingenrieth