25.06.2025

Nur ein Schritt voran

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Die Regierungskoalition hat ihr Versprechen wahr gemacht und die Stoffstrombilanz ausrangiert. Damit ist das Thema allerdings nicht erledigt. Agrarminister Rainer und Umweltminister Schneider müssen die maßgeblichen düngerechtlichen Vorgaben nun rasch auf neue Beine stellen.

„Was lange währt, wird letztlich gut“, besagt ein Sprichwort. Beim Thema Nitrat im Grundwasser, dem Anteil der Landwirtschaft daran und wie die Politik damit umgeht, könnte man es auch umschreiben: „Was lange währt, wird noch verkorkster.“ Die Geschichte dahinter reicht Jahrzehnte zurück, beschäftigt Horden von Beamten und Mitarbeitern in Ministerien, Kommissionen und Behörden. Ein Mosaikstein, die Stoffstrombilanzverordnung, trat 2018 in Kraft und raubt wegen des bürokratischen Aufwands Landwirtinnen und Landwirten den Nerv. Selbst Wissenschaftler bescheinigen „hierbei umfangreiche Dokumentationspflichten und Anwendungsbeschränkungen, die nur zum Teil als wissenschaftlich belegt und zielführend zu bezeichnen sind”.

Sie davon zu befreien, ist Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer angetreten. Nun hat er das Versprechen gehalten, das schon im Koalitionsvertrag der Bundesregierung niedergeschrieben ist. Am Dienstag, wenige Stunden vor Redaktionsschluss der LZ Rheinland, hat das Bundeskabinett der Verordnung aus seinem Haus zugestimmt, die Stoffstrombilanz abzuschaffen. Am Donnerstag, bei seinem Auftritt auf dem Deutschen Bauerntag in Berlin, wird Rainer dafür sicher viel Beifall ernten. Denn die Abschaffung ist ein Signal, dass die neue Bundesregierung den Frust der Bäuerinnen und Bauern über eine überbordende Bürokratie ernst nimmt und das Motto der Veranstaltung– „Mehr Politikwechsel wagen”– bei der Bundesregierung durchaus Gehör findet.

Allerdings: Einen wirklichen Kraftakt hat dieser Politikwechsel nicht erfordert. Denn schon im Vorjahr ist eine Novellierung der Stoffstrombilanzverordnung am Bundesrat gescheitert. Die hätte außer ein bisschen Wortkosmetik (aus der Stoffstrombilanz sollte eine Nährstoffbilanz werden) auch wenig Veränderung und schon gar keine Verbesserung für die landwirtschaftlichen Betriebe gebracht. Mehrere Bundesländer mit unionsbesetztem Agrarressort hatten sich gegen die von Bundeskabinett und Bundestag bereits abgesegnete Verordnung gestellt. Spätestens seit der Agrarministerkonferenz in diesem Frühjahr, an der nach dem Bruch der Ampelkoalition ein nur noch geschäftsführender Agrarminister Cem Özdemir teilgenommen hat, war dann klar: Mit einer Weiterentwicklung der Stoffstrombilanz wird das nichts mehr, dazu fehlen die Mehrheiten. Mit dem Kabinettsbeschluss vom Dienstag hat diese gesetzliche Regelung also ein Ende gefunden.

Der eigentliche Grund dafür aber eben nicht: die europarechtliche Verpflichtung, etwas gegen die Nitratbelastung von Grundwasser zu unternehmen. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, erklärte aus Anlass der Kabinettsentscheidung zwar, dass es keine Nachfolgeregelung braucht. Man könne auch anhand anderer betrieblicher Aufzeichnungen nachvollziehen, wo wasserschonend gewirtschaftet wird. Ob das allerdings aus Sicht der EU-Wasserrahmenrichtlinie, der EU-Nitratrichtlinie oder der EU-Trinkwasserrichtlinie ausreicht, das ist eher unsicher. Sicher ist dagegen, dass Umweltverbände bereits Sturm laufen gegen die Aufhebung der Stoffstrombilanz und es ihnen gelegen käme, wenn (auf ihr Betreiben?) die EU-Kommission erneut ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Überschreitung der Nitratgrenzwerte in Gang setzen würde.

Die Bereitschaft dazu war in früheren Jahren jedoch schon mal größer, als sie es jetzt ist. Dennoch muss Rainer dieses Risiko ins Kalkül ziehen. An der EU kommt er und an ihr kommen auch nicht die landwirtschaftlichen Betriebe vorbei. Deswegen ist die Entscheidung dieser Woche eben nur ein Signal. Folgen muss ein Paukenschlag, der es den einzelnen Betrieben einfach macht, nachzuweisen, wie sorgsam sie jeweils düngen, der die Umweltseite auf der Regierungsbank, also Umweltminister Carsten Schneider, überzeugt und der Anerkennung in Brüssel findet. Ein lupenreines Wirkungsmonitoring, das nur auf die Düngewirkung in Boden oder Grundwasser schaut, wird diese Anforderungen allein nicht erfüllen. Einzelbetriebliche Differenzierungen sind ohne Elemente, die auch schon die Stoffstrombilanz genutzt hat, nicht vorstellbar.