11.09.2024

Dialog mit Déjà-vu

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Schon mal erlebt, schon mal gesehen, schon mal gehört, schon mal gerochen oder schon mal geträumt – hat man einen solchen Eindruck, hat man ein Déjà-vu. Fällt der Strategische Dialog der EU, dessen Ergebnisse vergangene Woche vorgestellt worden sind, auch darunter?

Es sind schon einige Parallelen, die man zwischen dem Stra­tegischen Dialog und der Zukunftskommission Landwirtschaft ausmachen kann. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hatten seinerzeit die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Agrarministerin Julia Klöckner eingesetzt. Auslöser waren bundesweite Proteste, die von der mittlerweile in Splittergruppen zerfallenen Organisation Land schafft Verbindung (LsV) initiiert worden waren. Auch der Strategische Dialog, offiziell als Gesprächsformat bezeichnet, ist unter dem Eindruck der europaweiten Demonstrationen von Bäuerinnen und Bauern im zurückliegenden Winter von der Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, einberufen worden.

Sowohl die Zukunftskommission als auch der Strategische Dialog wurden so besetzt, dass sie ein Abbild der Interessen verschiedenster Gruppen sind. In den Runden saßen Vertreter der Erzeugerseite und weitere Beteiligte aus der Lebensmittelkette neben Vertretern der Verbraucherschaft und von Nichtregierungsorganisationen sowie aus der Wissenschaft. Die jeweiligen Abschlussberichte leuchteten quasi jeden Winkel der Erzeugung, der Ver­arbeitung und des Handels von Lebensmitteln aus, ebenso wie die gesellschaftlichen und wirtschaft­lichen Rahmenbedingungen, Ansprüche und Erfordernisse. Für die Empfehlungen, die am Ende standen, hatten sich ­alle Beteiligten auf einen Konsens verständigt.

An der Spitze der Zukunftskommission stand einmal derselbe Mann wie jetzt beim Strategischen Dialog: Prof. Peter Strohschneider. Bei so vielen Parallelen muss man fast ein Déjà-vu ­befürchten. Denn wenn sich sonst schon vieles ähnelt, könnte der Ausgang auch der gleiche sein und den Ergebnissen des Strategischen Dialogs das gleiche Schicksal blühen wie den Empfehlungen der Zukunftskommission. Dass die Erkenntnisse und Schlüsse, die unter der Ägide von Prof. Strohschneider erarbeitet wurden, einmal deutliche Spuren in der realen deutschen Agrarpolitik hinterlassen, daran glaubt mittlerweile aber niemand mehr. Nach wie vor be­schwören viele Beteiligte jedoch, dass man mit dem Bericht der Zukunftskommission, der im Juli 2021 vorgelegt wurde, nie so nah an einer gemeinsamen gesellschaftlichen Vorstellung über die Zukunft der heimischen Landwirtschaft gewesen sei. Auch wenn die Kommission unter neuer Leitung weiterarbeitet, die damalige Euphorie ist verpufft. Enttäuschung und Frust darüber, was die Politik daraus nicht (!) gemacht hat, sind an ihre Stelle getreten.

Droht der Strategische Dialog in die gleiche Bedeutungslosigkeit zu rutschen: viel geredet, Hunderte Seiten Papier geschwärzt und am Ende verläuft alles im Sande? Ich hoffe nicht! Denn es braucht dringend eine Übereinkunft von Gesellschaft und Politik darüber, was sie von der Landwirtschaft wollen, und darüber, was sie dafür bereit sind zu geben! Im Unterschied zur Zukunftskommission stimmen mich einige Punkte jedoch zuversichtlich:

Während die Zukunftskommission eine später abgewählte Regierung eingesetzt hat, ist der Strategische Dialog noch von der nun wieder amtierenden Kommissionspräsidentin angestoßen worden und seine Ergebnisse stehen am Anfang der neuen Legislatur in der EU.

Von der Leyen hat nach den Protesten mit dazu beigetragen, dass manche Auflagen (zum Beispiel GLÖZ oder Ökoregelungen) entschärft worden sind.

Sie hat zudem angekündigt, die Ergebnisse zügig in eine Roadmap für die EU zu überführen, also einen Fahrplan für deren künftige Agrarpolitik.

In den nächsten Jahren müssen die Institutionen der EU um die Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der nächsten Förderperiode ab 2028 ringen. Während in der Vergangenheit erst im Laufe der Legislatur die Mühlen dafür in Gang gekommen sind, liegt jetzt mit dem Bericht bereits eine Verhandlungsgrundlage vor. Das bedeutet ­einen enormen Zeitgewinn und ein geringeres Risiko, dass – wie bei der vorangegangenen Reform – mit heißer Nadel Kompromisse gestrickt werden, die niemanden zufrieden gestellt haben.

Nicht zuletzt enthält der Bericht einen wichtigen Hinweis: Er stellt die strategische Rolle der Land- und Ernährungswirtschaft für die EU unmissverständlich heraus und hebt damit den Stellenwert des Sektors enorm.

Was muss passieren, damit ein Déjà-vu ausbleibt? Von der Leyen muss eine starke Persönlichkeit als Kandidaten für die Position des Agrarkommissars präsentieren, die anders als Vorgänger Janusz Wojciechowski das Amt gestaltet und sich in der Kommission nicht an den Rand drängen lässt. Beide dürfen sich außerdem nicht mit dem zufriedengeben, was die EU-Haushälter dem Sektor zubilligen, sondern sie müssen gemeinsam so viel Gelder einfordern, wie Land- und Ernährungswirtschaft brauchen, um gesellschaftliche Ansprüche und die strategische Aufgabe erfüllen zu können, die Ernährung von einmal über 500 Mio. Menschen sicherzustellen – und zwar ohne, dass mögliche Zielkonflikte auf ihre Kosten gehen.

Es gibt Punkte, die mich zuversichtlich stimmen, dass der Strategische Dialog nicht dasselbe Schicksal erleidet wie die Zukunftskommission.