27.11.2024

Die Wähler entscheiden

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Der Bundestagswahl im Februar eilen erste Personalvorschläge voraus. Auch am Niederrhein vergisst mancher derzeit, dass nicht er oder sie, sondern die Bürgerinnen und Bürger das Sagen haben.

Nein! Wir beteiligen uns nicht an Spekulationen und verzichten an dieser Stelle darauf, Vorschläge zum Personal einer künftigen Bundesregierung zu erörtern. Denn es liegt erstens in der Hand der Wahlberechtigten, welche Partei am 23. Februar kommenden Jahres mit welchem Stimmenanteil abschneidet. Dann liegt es zweitens an der Partei mit den meisten Stimmen, mit den demokratischen Mitbewerbern auszuloten, wer mit wem kann und will und unter welchen Bedingungen, um eine neue Regierung zu stellen. Erst am Ende dieses Prozesses steht die Kandidatenkür. Derzeit kann man nur daran erinnern: Es hat sich schon mancher gewundert, der das Fell des Bären bereits verteilt hatte, bevor der überhaupt in Schussweite gekommen war. Übertragen auf Wahlen und Entscheide bedeutet das: Wer die Bürgerinnen und Bürger als Souverän missachtet, dem wird kein großer Jagderfolg beschieden sein.

Da wir schon von Schuss reden: Allzu gerne lamentieren so manche Politiker und Politikerinnen über die Polarisierung von ganz links und ganz rechts außen des politischen Spektrums, während sie geflissentlich darüber hinweggehen, dass immer mehr von ihnen selbst zu diesem Instrument greifen. Den Schuss, dass sie damit genauso das gesellschaftliche Klima und das politische generell vergiften, hat wohl mancher noch nicht gehört. Da lässt sich zwischen Bund, Land und Kommunen leider mittlerweile oft immer seltener ein Unterschied ausmachen. Zum Beispiel aktuell am Niederrhein. Dort wird die Debatte darüber, ob sich der Kreis Kleve um die Einrichtung eines Nationalparks im Reichswald bewerben soll, immer rauer und droht immer mehr abzugleiten.

Zur Erinnerung: Seit vergangener Woche können die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Kleve abstimmen. Aufgerufen sind alle Wahlberechtigten ab 16 Jahren, egal, wo sie im Kreis wohnen. Gleichzeitig versuchen zwei Initiativen, sie von ihrem Anliegen zu überzeugen. Doch es geht zusehends hitziger zu. Befeuert wird die Auseinandersetzung auch durch verbale Entgleisungen. Da kursieren Videos unter dem Titel „Dreiste Lügen der Lobbyisten” im Netz, es wird von Korruption gesprochen und Nazi-Vergleiche werden angestellt. Wäre Bundeswirtschaftsminister Dr.Robert Habeck damit gemeint, müssten die Absender wohl mit drastischen juristischen Schritten rechnen–so wie ein Kritiker, der auf einer Social-Media-Plattform nicht gerade schmeichelhafte Worte für ihn gefunden hatte und dafür kürzlich eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste.

Wer den Anfang gemacht hat, steht hier nicht zur Debatte. Ob die Gegner oder die Befürworter des Nationalparks die treffenderen Argumente haben und wessen Fakten die wahrhaftigeren sind, auch darüber wollen wir hier nicht befinden. Für beide Positionen gibt es nachvollziehbare Standpunkte. Aber es sei daran erinnert, dass eine Zuspitzung und eine Spaltung sich sicher nicht dadurch unterbinden lassen, wenn man sich immer weiter von den Sachfragen entfernt, die die Menschen vor Ort direkt betreffen: Was passiert, wenn ein Nationalpark kommt, mit welchen Beschränkungen muss die Bevölkerung rechnen oder welchen Nutzen hat jeder Einzelne davon? Denn bei aller Emotionalität sollte niemand vergessen, worum es auch noch geht: darum, den Menschen im Kreis Kleve zuzugestehen, was zum Beispiel die Bürgerinnen und Bürger in Paderborn oder Höxter bereits getan haben – selbst entscheiden zu dürfen, wie es weitergeht.

Tatsächlich haben CDU und Grüne seinerzeit in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie einen zweiten Nationalpark einrichten wollen. Sie haben auch festgelegt, dass sie dazu einen Beteiligungsprozess initiieren wollen. Bis auf Kleve ist dieser überall, wo mögliche Standorte ausgemacht wurden, abgeschlossen–immer mit einem ablehnenden Ergebnis. Aus der Ablehnung in anderen Regionen folgt nicht zwangsläufig, dass der Koalitionsvertrag im Reichswald erfüllt werden muss. Den Wahlberechtigten in Kleve stehen die gleichen Rechte zu wie andernorts. Kurz: Die Wählerinnen und Wähler haben zu entscheiden, was nun folgt! Das sollte jeder, der die demokratischen Tugenden und Gepflogenheiten achtet, gerade jetzt nicht vergessen. Der Reichswald betrifft vielleicht nur einige Zehntausend Bürgerinnen und Bürger–die Art und Weise, wie der Diskurs geführt wird, das nehmen auch andere wahr. Wenige Wochen vor einer Bundestagswahl, die nötig wurde, weil die Regierenden nicht mehr miteinander kommunizieren und Kompromisse aushandeln konnten, sollte niemand die Verdrossenheit der Bürger durch ein solches Vorgehen und Verhalten verstärken. Denn das stärkt kaum die eigene Position, wohl aber diejenigen, die mit unserer Demokratie nichts anzufangen wissen und sie am liebsten loswerden wollen.