04.12.2024

Sparen beim Programm

LZ-Chefredakteur Detlef Steinert

Die Parteien haben die Wahl: Machen sie was Eigenes oder greifen sie die Vorschläge anderer auf? Mit dem neuen Bericht der Zukunftskommission Landwirtschaft könnten sie es sich einfach und vielen in der Gesellschaft auch Recht machen, die Landwirtschaft eingeschlossen – vorausgesetzt, sie lassen die Erkenntnisse nicht links liegen, sollten sie der nächsten Bundesregierung angehören.

Man spürt es überall: Die Parteien sind allesamt bereits im Wahlkampfmodus. Allerorten werden die Kandidatinnen und Kandidaten für den nächsten Bundestag nominiert. Die Granden aller Parteien nutzen jede Kamera und jedes Mikrofon und jeden Social-Media-Kanal, um sich gegenüber dem politischen Mitbewerber abzugrenzen. Das ist legitim, das gehört dazu und das muss sein, damit jede Minute der verbleibenden Wochen bis zum Wahltermin im Februar ausgenutzt wird, um für die eigene Sache und damit für sich zu werben. Wer für sich wirbt, braucht allerdings Inhalte, also ein Wahlprogramm. Damit sieht es bei den meisten bislang dürftig aus. Und so wird es wohl auch bleiben. Denn aus den Zentralen der Parteien in Berlin ist unisono zu hören, die Wahlprogramme würden dieses Mal reichlich dünn ausfallen. Geschuldet ist das der knappen Zeit.

Wenn es nach mir ginge, müsste auch keine der demokratischen Parteien sich die Mühe machen, sich für Landwirtschaft, ländliche Räume und Ernährung eigene Wahlpositionen abzuringen. Bereits zum zweiten Mal haben es die Vertreterinnen und Vertreter verschiedenster gesellschaftlicher Interessengruppen geschafft, in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) ein gemeinsames Statement zu formulieren, wie die Zukunft der Landwirtschaft aussehen sollte und wie man dahin kommen könnte. Schon der Titel dieses neuen Berichts – „Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in schwierigen Zeiten“ – erinnert an Programme der Bundestagsparteien anlässlich früherer Wahlkämpfe. Würde man in dem 25-seitigen Papier, das die ZKL vergangene Woche vorgelegt hat, Formulierungen wie „wir empfehlen“ oder „wir unterstützen“ einfach austauschen durch „wir fordern“ oder „wir stehen für“, schon hätte jede Partei für dieses Themenfeld ein Wahlprogramm, das bei der Mehrheit der Bevölkerung keinen Widerspruch auslösen dürfte. Es hätte für sie noch einen weiteren Vorteil, sich die ZKL-Positionen zu eigen zu machen: Zumindest für dieses Themenfeld müssten potenzielle Koalitionäre nicht hitzig verhandeln, um eine gemeinsame Position für die künftige Regierungsarbeit zu finden.

Auch strukturell gibt es Parallelen zu Wahlprogrammen von Parteien. Die zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie in einigen Punkten abstrakt bleiben und weit in die Zukunft weisen, während sie an anderen Stellen durchaus konkret werden und quasi eine Art Sofortprogramm darstellen. Konkret wird die ZKL zum Beispiel bei einigen Punkten, die so ziemlich genau vor einem Jahr für Tausende Landwirtinnen und Landwirte das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Streitpunkt Agrardiesel: Der sollte der ZKL zufolge künftig mit dem europäischen Durchschnittssatz besteuert werden. Streitpunkt Düngeverordnung: Hier hält die ZKL eine deutliche Verschlankung der Düngeregelungen für notwendig; sie zieht eine gesamtbetriebliche Nährstoffbilanzierung für Stickstoff und Phosphor vor. Streitpunkt Bürokratie und Überregulierung: Hier zählt die ZKL eine effizientere und einfachere Gestaltung von Baurecht und Immissionsrecht zu den vordringlichen Maßnahmen; Nachweispflichten der Entwaldungsfreiheit von Lieferketten sollten für in Deutschland erzeugte land- und forstwirtschaftliche Produkte staatliche Institutionen zentral erfüllen. Streitpunkt Steuer: Eine Risikoausgleichsrücklage sieht die ZKL als zentrales Instrument der Gewinnglättung und Risikovorsorge.

Der Landwirtschaft zugewandt gibt sich die ZKL auch, indem sie Kooperationen und Anreizsystemen im Hinblick auf gesellschaftlich geforderte Leistungen Vorrang einräumt. Einen Knackpunkt nennt sie aber: Wie sorgt man für eine gerechte Honorierung dessen, was die Landwirtschaft in den unterschiedlichsten Feldern wie zum Beispiel CO2-Einsparung oder Biodiversität leistet? Die Lösung sieht sie in einer Idee, die schon bei dem Strategischen Dialog der EU unter Leitung von Prof. Peter Strohschneider, dem vormaligen Vorsitzenden der Zukunftskommission Landwirtschaft, geboren wurde: Es braucht ein vereinheitlichtes Bewertungssystem, das quer durch Europa und quer über die Betriebsformen und -strukturen anwendbar ist. Was wie die Quadratur der Ellipse klingt, würde aber für enorme bürokratische Entlastungen sorgen, den Betrieben Raum lassen, Systemleistungen so zu erbringen, wie sie zu ihren Gegebenheiten passen und nicht am grünen Tisch ersonnen wurden, und leidigen Behauptungen ein Ende setzen, mit denen fortwährend die eine Wirtschaftsweise gegen eine andere ausgespielt werden soll. Das wäre eine Zukunftsvision für alle Betriebe und ein starkes Wahlversprechen der Parteien. Nicht jede wird sich darauf einlassen. Denn so etwas würde mancher den Boden entziehen, auf dem ihre Propagandaparolen sonst prächtig gedeihen.