Kondition bewahren
Der Start ins neue Jahr ist die Zeit für gute Vorsätze. Wenn dabei über Kondition gesprochen wird, geht es meist um die körperliche Fitness. Seit Jahresbeginn geht es auch um Konditionen beziehungsweise Vorgaben der EU, die allerdings Einfluss auf die betriebliche Fitness nehmen.
Es ist noch nicht lange her, da mussten sich Landwirtinnen und Landwirte erst einmal schlaumachen, was es mit dem Begriff Konditionalität auf sich hat. Seit der jüngsten Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), die 2024 in Kraft getreten ist, wissen sie es: Nur wer bestimmte Vorgaben (Konditionen) einhält, hat Anspruch auf Förderung aus dem EU-Agrartopf. Umgekehrt gilt: Wer die Grundanforderungen an einen landwirtschaftlichen Betrieb sowie zusätzliche Anforderungen nicht einhält, muss damit rechnen, dass ihm die Gelder gekürzt oder gar ganz verwehrt werden.
Seinen Ursprung hat der Begriff Konditionalität in der Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds (IWF), der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Der knüpfte seine Darlehenszusagen in den folgenden Jahrzehnten immer mehr an Vorgaben. Mal orientierten die sich an wirtschaftlichen Zielsetzungen, mal an politischen, neuerdings immer mehr an Aspekten der Nachhaltigkeit – unter anderem auch an sozialen Gesichtspunkten.
Zu den GLÖZ-Standards (guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand) gesellen sich nun für die landwirtschaftlichen Betriebe auch Vorgaben zur Einhaltung arbeitsrechtlicher und arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen. Unter dem Sammelbegriff soziale Konditionalität ist dabei eine Fülle an Regelungen zu beachten, die längst in verschiedensten rechtlichen Bestimmungen niedergelegt sind. Für einen Laien bedeutet es ein schier unmögliches Unterfangen, alle im Blick zu behalten. Glücklicherweise gibt es Fachleute, bei denen man sich im Zweifelsfall Rat holen kann, um sich nicht in juristischen Fallstricken zu verheddern. Davor ist nämlich auch jemand nicht gefeit, der es seit Jahr und Tag gut mit seinen Mitarbeitern meint – nicht unbedingt, weil es diese Vorgaben der EU verlangen, sondern schon allein aus der Überzeugung, dass es (neben finanziellen Anreizen) vor allem auf einen pfleglichen und wertschätzenden Umgang ankommt, um sie zu motivieren und bewährte und qualifizierte Kräfte an das Unternehmen zu binden.
Immerhin ist laut amtlicher Statistik mittlerweile jede vierte Arbeitskraft in den Betrieben in NRW kein Familienangehöriger mehr, sondern eine Fremdarbeitskraft. Rechnet man die Saisonkräfte heraus, standen 2023 51 700 Familienarbeitskräften 27 700 ständige Arbeitskräfte gegenüber. Dabei hält die Tendenz – weniger Familienarbeitskräfte, mehr angestellte Fremdkräfte – seit Jahren an und wird angesichts der Strukturentwicklung in der rheinischen Landwirtschaft (Wachsen und/oder Spezialisieren und/oder Diversifizieren) so schnell nicht stoppen. Auch wenn die Konjunktur derzeit lahmt und die Nachfrage aus der Industrie abflaut: Der Wettbewerb um gut ausgebildete und kompetente Kräfte wird nicht geringer. Damit diese Menschen ihre berufliche Zukunft in der Landwirtschaft suchen, müssen die Bedingungen dort für sie stimmen. Das ist für die Fitness der landwirtschaftlichen Betriebe und ihre weitere Entwicklung auf Dauer unverzichtbar.
Zwar ist es ein gut gemeinter Vorsatz der EU, über die soziale Konditionalität EU-weit für gleiche Anforderungen sorgen zu wollen und so nicht nur die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen, sondern auch etwas gegen teils unsägliche Arbeitsbedingungen (vor allem für Saisonkräfte) in südlichen Mitgliedstaaten zu unternehmen. Allerdings stellt sich durchaus die Frage, ob es dafür des weiteren Hebels der sozialen Konditionalität in der GAP bedarf. Denn die Bestimmungen, die hier greifen, fußen allesamt auf bestehenden Richtlinien und Verordnungen der EU. In jedem einzelnen Mitgliedstaat der Union sollten daher doch bereits entsprechende Kontroll- und Sanktionierungsmaßnahmen greifen. Wo die nicht ausreichen, Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz zu bestrafen und zu verhindern, wird es die soziale Konditionalität wohl kaum richten können. Für die, für die gefahrlose und angemessene Arbeitsbedingungen selbstverständlich sind, bedeutet die soziale Konditionalität dagegen nur ein Mehr an Dokumentation und Kontrolle, ohne dass ihre Mitarbeitenden davon profitieren. Und damit kein Mehr, sondern ein Weniger an betrieblicher Fitness.